Berlin/München – Noch sind wenige Details über die mutmaßlichen Anschläge auf die Nord-Stream-Pipelines bekannt. Doch die Ostsee gehört zu den am besten überwachten Seegebieten überhaupt – zumal nach der Eskalation der Spannungen mit Russland wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine. Alle Anrainer beobachten den Schiffs- und Flugverkehr mit Sensoren, und es gibt dabei auf deutscher Seite hochentwickelte Fähigkeiten. So werden Bewegungen von Fahrzeugen im Wasser verfolgt, indem die akustische Signatur aufgenommen und mit einer Datenbank abgeglichen wird. Die Marine erstellt aus all diesen Informationen ein „Unterwasserlagebild“, das allerdings bei der Beobachtung gegnerischer U-Boote auch an Grenzen stößt.
Zur Beweislage gehört auch das Schadensbild an der Pipeline. Weil das austretende Gas aber zunächst erheblich Blasen schlägt, ist eine genauere Analyse erst später möglich – Dänemarks Verteidigungsministerium geht von ein bis zwei Wochen aus, bis die Lecks in etwa 80 Metern Tiefe untersucht werden können.
Auch der Nord Stream 2 AG sind die genauen Schäden an ihrer weitgehend parallel verlaufenden Pipeline nach eigenen Angaben noch unbekannt. Es könne „kein Mensch momentan seriös sagen, wie es da unten aussieht“ und welche technischen Möglichkeiten es nun gebe, sagte Sprecher Ulrich Lissek. Das Ausmaß könne man nur anhand der umfangreichen Blasenbildung einschätzen. Er sprach von einem möglichen „Riesenriss“. Für die Nord Stream 2 AG dürften etwaige Erkundungen oder gar Reparaturen aber auch deshalb schwierig werden, weil sie seit Anfang des Jahres unter US-Sanktionen steht, die Geschäfte mit dem Unternehmen mit Sitz in der Schweiz unmöglich machen.
Nach Angabe der Betreiber der Schwesterpipeline Nord Stream 1 will man zuerst mit unbemannten Unterwasserfahrzeugen die Schäden erkunden. Eine Reparatur des beschädigten Doppelstrangs will der Betreiber nicht ausschließen. Es gebe Erfahrungen und Anbieter für solche Arbeiten, sagte ein Sprecher.
Was genau passierte, ist weiter offen. Klar ist: Sprengen unter Wasser ist kein Hexenwerk, vor allem wenn es – wie in der Ostsee – nicht um große Tiefen geht. Militärtaucher aller Nationen sind darin geübt. So werden Seeminen eines möglichen Gegners in der Regel unter Wasser kontrolliert gesprengt, nicht entschärft. Auch zivile Sprengschulen bieten eine solche Ausbildung an, ebenso Zivilschutzbehörden wie im Falle Deutschlands das Technische Hilfswerk (THW).
Prinzipiell ist aber bei einer Pipeline mindestens noch ein zweites Verfahren zur Zerstörung denkbar, sagen Technikexperten. Die Röhre wird mit einem „Molch“ gewartet, einem ferngesteuerten Reinigungsroboter, der mit Sprengstoff bestückt werden kann, sofern Täter Zugang zu dem System haben.
„Wem nutzt es?“, lautet eine verbreitete Frage bei der Suche nach den Tätern. Allerdings gibt es in diesem Fall keine einfache Antwort. Wer eine Urheberschaft Russlands annimmt, hält es damit für möglich, dass Moskau die eigene Infrastruktur dauerhaft beschädigt und sich auch selbst die Möglichkeit nimmt, die Gasversorgung als Druckmittel gezielt an- und auszuschalten. Die russische Generalstaatsanwaltschaft wiederum leitete Ermittlungen wegen internationalen Terrorismus ein.
Grundsätzlich möglich ist es auch, dass Gegner Russlands und dieser Gasröhren dem Treiben Moskaus ein Ende setzen wollten. Europäische Regierungen halten sich derzeit, kurz nach dem Vorfall, mit Schuldzuweisungen zurück. Allgemein galt ein „staatlicher Akteur“ als wahrscheinlich, falls es sich um Sabotage handelt – wovon EU und Nato ausgehen.