München/Luxemburg – In der hiesigen Debatte gerät es manchmal in Vergessenheit: Aber nicht nur Deutschland muss sich mit dramatisch gestiegenen Energiepreisen herumschlagen. Doch nicht alle europäischen Länder haben die Kraft, um so wuchtige Programme wie die Gaspreisbremse aufzulegen. Während sich die „Ampel“ in Berlin noch immer für zu unkonkrete Pläne rechtfertigen muss, hat sie in Europa ein ganz anderes Problem: Ihr „Doppelwumms“ stößt in EU-Hauptstädten vielen sauer auf. Finanzminister Christian Lindner (FDP) reiste deshalb mit Beschwichtigungen im Gepäck zum Treffen mit seinen EU-Kollegen nach Luxemburg. Dort verteidigte er das Paket nicht nur gegen Kritiker, sondern auch gegen solche, die für Europa noch größere Instrumente fordern.
Den von Kanzler Olaf Scholz (SPD) geprägten Ausdruck „Doppelwumms“ macht sich Lindner dabei nicht zu eigen. Lieber spricht er vom „Abwehrschirm“, da Wladimir Putin inzwischen „Gas als Waffe“ einsetze. Menschen und Wirtschaft müssten geschützt werden „angesichts dieser Bedrohung, die voll gegen die wirtschaftliche Struktur unseres Landes“ gerichtet sei. „Die Maßnahmen sind gemessen an der Größe der deutschen Volkswirtschaft und gemessen an der Laufzeit bis 2024 in der Proportion angemessen“, betont Lindner.
Dennoch sorgt das Paket für Unruhe: Andere EU-Länder haben nicht die Wirtschaftsstärke der Deutschen und fühlen sich vergleichsweise schutzlos. Der scheidende italienische Regierungschef Mario Draghi warnt vor „gefährlichen und ungerechtfertigten Verzerrungen des Binnenmarktes“, wenn sich die EU-Staaten mit ihren Entlastungspaketen überböten. Der ungarische Regierungschef Viktor Orbán schimpft: „In der Energiekrise kann Deutschland seinen eigenen Unternehmen mit hunderten Milliarden Euro helfen“ – ärmere Länder könnten das nicht. „Das ist der Beginn des Kannibalismus in der EU“, empört sich Orbán. Brüssel müsse handeln, „denn das wird die europäische Einheit zerstören“, fordert der Nationalkonservative, der es sonst mit der europäischen Einheit nicht so genau nimmt.
Der Berliner „Doppelwumms“ weckt in der EU aber auch Begehrlichkeiten. Die Wortwahl von Kanzler Scholz erinnert an den Italiener Draghi. Als dieser vor zehn Jahren noch Chef der Europäischen Zentralbank war, erklärte er im Juli 2012, er werde jedes erdenkliche Mittel ergreifen, um den Euro in der Finanzkrise zu sichern. „Bazooka“ nannte Draghi seine virtuellen Waffen unter Anspielung auf US-Weltkriegsgeschütze. Die martialische Wortwahl reichte, um die Finanzmärkte zu befrieden. Lindner sagt dagegen: Der deutsche Abwehrschirm sei gerade keine „Bazooka“. Die Bundesregierung habe vor, „möglichst wenig von den 200 Milliarden Euro bis 2024 einzusetzen“, lässt er seine EU-Kollegen wissen.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, den Scholz am Montagabend in Berlin empfing, drängt die EU seit Beginn des russischen Angriffskriegs zu einem neuen Instrument à la Draghi. Vorbild ist der von Macron angestoßene Corona-Wiederaufbaufonds von 750 Milliarden Euro. Auch Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni aus Italien und Binnenmarktkommissar Thierry Breton aus Frankreich erklärten in der „FAZ“, die deutsche Gaspreisbremse werfe „Fragen auf“. Um einen „Subventionswettlauf“ in Europa zu verhindern, fordern sie wie Paris „europäische Instrumente“ in Form eines schuldenfinanzierten Programms. Davon will Lindner, der eben erst in Berlin mit allen Tricks eine Aufhebung der Schuldenbremse umgangen hat, natürlich nichts wissen. mik/afp