Moskau – Für Wladimir Putin sollte sein runder Geburtstag auch ein politischer Triumph werden. Längst wollte der russische Präsident die Ukraine, die in die EU und die Nato strebt, mit seinem Angriffskrieg als Staat zerstört haben. Doch auch an seinem 70. Geburtstag an diesem Freitag wird der Kremlchef angesichts immer neuer Niederlagen bei seiner Invasion als Oberbefehlshaber alle Hände voll zu tun haben. Vor allem aber muss Putin jetzt zusehen, wie nach seinen gut 22 Jahren an der Macht vieles in sich zusammenfällt.
Politologe Abbas Galljamow, der früher selbst im Kreml arbeitete, sagt: Putin sei nicht mehr Herr der Lage. Er habe seinen Status als „heilige Figur“, als Garant für Stabilität verloren. Die stolze Rohstoffmacht Russland erlebt auch wegen des Drucks der Sanktionen des Westens, die nun noch einmal verschärft werden sollen, eine massive Rezession. Tausende Firmen haben das Land verlassen, zehntausende Russen haben keine Arbeit mehr und der Verkauf von Antidepressiva in russischen Apotheken ist sprunghaft angestiegen. Galljamow spricht von einer beispiellosen „Deindustrialisierung“ des Landes. Einem Zeitungsbericht zufolge, der sich auf eine Kreml-nahe Quelle beruft, sollen seit der Teilmobilmachung schon bis zu 700 000 Russen das Land verlassen haben.
Doch die russische Führung gibt sich trotzig. Russland will die zuletzt von ukrainischen Truppen befreiten Gebiete nicht aufgeben und bald wieder unter seine Kontrolle bringen. „Sie werden für immer zu Russland gehören“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Staatsagentur Tass zufolge. Er bezog sich damit auf Teile von Gebieten, die Russland völkerrechtswidrig annektiert hat, die aber unter der Kontrolle ukrainischer Truppen sind. Bestimmte Gebiete müssten noch eingenommen werden, sagte Peskow mit Blick auf die Gegenoffensive des Nachbarlandes.
Der Vormarsch der ukrainischen Truppen scheint unterdessen weiterzugehen. Nach eigenen Angaben stießen die Streitkräfte nun in Gebiete der bislang von Russland kontrollierten Region Luhansk vor. „Die Rückeroberung der Region Luhansk hat (…) begonnen“, erklärte der ukrainische Gouverneur Serhij Gajdaj gestern. Luhansk ist eine der vier ukrainischen Regionen, die Russland für annektiert erklärt hat.
Politologe Galljamow sagt, dass Putin in seinem Krieg jetzt vor allem darauf setze, dass die Energiekrise sich in Europa weiter zuspitze und damit die Solidarität mit der Ukraine im Westen breche. Wenn Europa bis März nicht „eingefroren“ sei, dann sehe es schlecht aus für Putin – ein Jahr vor der Präsidentenwahl, die 2024 ansteht.
Ganz ähnlich sieht das ein prominenter Exil-Russe. Der ehemalige Schachweltmeister Garri Kasparow sagte dem „Spiegel“: „Putins militärische und wirtschaftliche Kapazität wird im Frühjahr erschöpft sein.“ Spätestens im April gehe ihm die Munition aus. „Deshalb hat Putin es jetzt eilig, er sucht eine gute Ausgangsposition für Verhandlungen.“ Mit seinen Landsleuten geht der in den USA lebende Kasparow hart ins Gericht: „Jeder, der jetzt noch in Russland lebt, ist Teil dieser Kriegsmaschinerie, ob er das will oder nicht.“