Was Russland nach Putin blüht

von Redaktion

VON KLAUS RIMPEL UND ULF MAUDER

Moskau/München – Seinen 70. Geburtstag, den Wladimir Putin heute feiert, hat sich der Kreml-Herr sicher anders vorgestellt. Statt von seinem Volk für die Eroberung weiter Teile der Ukraine gefeiert zu werden, brodelt es im Riesen-Reich – und in der Ukraine muss das russische Militär Niederlagen einstecken. Die stolze Rohstoffmacht steckt wegen des Drucks der westlichen Sanktionen in einer massiven Rezession. Tausende Firmen und gut Ausgebildete haben das Land verlassen, Zehntausende haben keine Arbeit mehr.

„Er macht Russland zu einem Dritte-Welt-Land“, sagt der russische Politologe Abbas Galljamow, der früher selbst Reden für Putin geschrieben hat. Die Elite des Landes sei in einer „Depression“, weil der schnelle Sieg in der Ukraine fehle. Galljamow sieht derzeit angesichts fallender Zustimmungswerte nicht, dass Putin sich bei der Präsidentenwahl, die 2024 ansteht, einen neuen Sieg ohne Betrug verschaffen kann. Aber Manipulation könne zu einer Revolution führen, meint er. Immer mehr Russen verstünden, dass Putins Zeit abgelaufen sei. Galljamow sieht nur einen friedlichen Ausweg: Putin könnte selbst einen Nachfolger benennen, dem er vertraue. Als einen möglichen Kandidaten sieht er Sergej Sobjanin, den Bürgermeister von Moskau.

Der im Straflager inhaftierte russische Oppositionsführer Alexej Nawalny fürchtet, dass jeder Putin-Nachfolger aus der derzeitigen Machtelite genauso kriegslüstern, nationalistisch und demokratiefeindlich agieren werde wie Putin selbst. Deshalb müsse der Westen darauf drängen, dass Russland sich nach ihm zu einer parlamentarischen Republik wandle. Nur ein Systemwechsel weg vom Präsidialsystem mit seiner enormen Machtkonzentration im Kreml könne verhindern, dass das Russland nach dem Krieg genauso „aggressiv und putinistisch“ bleiben werde wie heute, so Nawalny in einem Gastbeitrag für die FAS.

Die Strategie des Westens dürfe nicht nur darauf zielen, dass die russischen Truppen sich aus der Ukraine zurückziehen. Sonst werde es die Welt „mit einem noch aggressiveren Regime in Russland zu tun haben, mit einem Land, das von Ressentiments und imperialistischen Illusionen gepeinigt wird, dessen von Sanktionen getroffene, aber noch riesige Volkswirtschaft im Zustand permanenter militärischer Mobilisierung steht und dessen Atomwaffen ihm (…) Straflosigkeit garantieren“, warnt Nawalny in dem Text.

Dass auch ein Russland nach Putin von aggressiven Nationalisten regiert werden könnte, zeigt eine Analyse der US-Denkfabrik „Institute for the Study of War“. Demnach werde Putin derzeit vor allem von Gruppen unter Druck gesetzt, die den Krieg sogar noch ausweiten wollen: rechte Militär-Blogger, Offiziere und Veteranen sowie die „Silowiki“ (von Sila, russisch für Macht, Kraft, Gewalt), also führende Mitglieder des Sicherheitsapparats.

Ein besonders aggressiver Vertreter dieser Silowiki ist Tschetschenen-Führer Ramsan Kadyrow, der zuletzt Verteidigungsminister Sergej Schoigu offen kritisierte und eine Ausweitung des Ukraine-Kriegs auch mit dem Einsatz von taktischen Atomwaffen gefordert hat. Am Tag vor seinem 70. Geburtstag versuchte Putin, den Scharfmacher mit einer Beförderung bei Laune zu halten: Der Kreml-Chef ehrte den berüchtigten Tschetschenen mit dem dritthöchsten militärischen Rang und ernannte ihn zum Generaloberst.

Kadyrow, der für seinen brutalen Führungsstil im muslimisch geprägten Tschetschenien im Nordkaukasus bekannt ist, tat sich seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine als einer der glühendsten Kriegsbefürworter hervor. Mehrfach kritisierte er nach russischen Niederlagen die militärische Führung seines Landes scharf und forderte weitreichende Konsequenzen. In der Nacht zum Donnerstag kündigte er die Entsendung weiterer seiner „Spezialeinheiten“ für den Kampf in der Ukraine an: „Wir haben gute Jungs (…). Wir schicken jeden Tag unsere Freiwilligen.“

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