Hannover – In der Stunde des Triumphs hat Stephan Weil kaum Triumphales an sich. Der Wahlsieger tritt auf die Bühne, würgt den Beifall nach kurzer Zeit ab. Seine Mimik verheißt nicht Ekstase, Jubel, nicht mal Genuss, allenfalls Erleichterung. „Das Ende eines harten, unangenehmen Wahlkampfs“ sei erreicht, sagt der SPD-Ministerpräsident. Das Ergebnis sei „weiß Gott nicht selbstverständlich“. Es habe sich für die SPD gelohnt, „den Rücken geradezumachen“.
Nüchtern, nicht allzu emotional: So kennen die Niedersachsen ihren Regierungschef, so tritt er auch am Wahlabend auf. Der 63-Jährige hat nicht nur seine zweite Wiederwahl im Kopf, dass er jetzt sogar Ernst Albrecht als Regierungschef mit der längsten Amtszeit in Niedersachsen ablösen könnte – sondern auch die Umstände. Auch seine SPD hat Stimmen verloren. Für das erklärte Wunschprojekt Rot-Grün reicht es zwar, aber eben nur wegen des Stimmenzuwachses der Grünen. Vor allem junge SPD-Wähler sind laut ARD-Daten rübergewechselt. Die Grünen kommen damit zwar nicht auf die zwischenzeitlich erträumten 20 Prozent, aber auf ihren bisherigen Rekordwert im Land. Julia Willie Hamburg (36) wird wohl die neue stellvertretende Regierungschefin. Sie führte die Grünen-Fraktion, war in dieser Funktion die Oppositionsführerin, holte ein grünes Direktmandat in Hannover.
Und: In Niedersachsen zeigt sich, dass in der aktuellen Energie-Krise der rechte Rand profitiert. Die AfD kommt im Land auf ein Rekordergebnis, deutlich zweistellig, beinahe verdoppelt, Wahlziel erreicht. Sie zieht von allen Parteien und bei den Nichtwählern Stimmen ab. Fünf von sechs AfD-Wählern äußern sich unzufrieden mit der Demokratie in Deutschland. Es dominierten ja bundespolitische Themen diesen Wahlkampf, Energiekrise, Inflation. Man sieht an diesem Abend bei den anderen Parteien viele schwer Besorgte.
Einer der klaren Verlierer dieses Abends fällt dadurch auf, dass er nicht mit Schönreden beginnt. Bernd Althusmann (CDU) tritt noch vor 19 Uhr vor seine höflich klatschenden Anhänger, er gratuliert ausdrücklich Weil und der SPD und zeigt Demut. „Ich übernehme die Verantwortung“, sagt er nach dem Abrutschen auf unter 30 Prozent. Sein Kurs, vor Rot-Grün zu warnen und die Ampel in Berlin zu attackieren, brachte keinen Erfolg. „Wir konnten nicht ausreichend durchdringen.“ Der Noch- Wirtschaftsminister (55) weiß, die CDU wird aus der Landesregierung fallen. Opposition sei auch ehrenvoll, sagt er, aber kündigt an, sich vom Amt des CDU-Landesvorsitzenden zurückzuziehen. Am Ende seiner kurzen Ansprache dankt er seiner Familie, man meint, Tränen in seinen Augen zu sehen.
Die genauen Ergebnisse werden erst am frühen Montagmorgen erwartet, auch das niedersächsische Wahlrecht kennt Ausgleichs- und Überhang-Mandate. Den Sieg der SPD wird das nicht mehr ändern, aber für die FDP geht es um die Existenzfrage. Sie sank am Abend in den Hochrechnungen auf knapp unter 5. Zum Vergleich: 2017 waren es 7,5. Die Partei verlor laut ARD-Analyse Stimmen in sämtliche Lager, die meisten an die AfD. „Jetzt heißt es, Nerven zu behalten“, bat Landeschef Stefan Birkner.
CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER