München – Der Morgen nach einer Landtagswahl ist in Berlin von Routine geprägt: Wahlsieger holen sich in ihrer Parteizentrale Beifall, warme Worte und einen Blumenstrauß ab. Verlierer fahren meist in die Hauptstadt, um sich final von der großen politischen Bühne zu verabschieden. So auch heute. Nur dürfte diesmal ein anderer Termin all das überstrahlen: Um 9 Uhr überreicht die Expertenkommission im Bundeskanzleramt Olaf Scholz ihren Vorschlag für die geplante Gaspreisbremse. Später werden die Ergebnisse im Detail vorgestellt.
Fast wirkt es so, als habe Berlin nur darauf gewartet, dass diese lästige Wahl im zweitgrößten Bundesland endlich vorbei ist. Die nächste steht erst am 14. Mai an – dann im kleinsten: Bremen. Bis dahin können die Ampel-Parteien regieren, ohne sofort vor den Wähler treten zu müssen. Und vor allem können sie beweisen, dass sie die zentrale Botschaft aus Hannover verstanden haben.
Diese liegt im AfD-Ergebnis: Trotz eines zerstrittenen Landesverbandes und einem unbekannten Spitzenkandidat holte die Partei das stärkste Ergebnis jemals in Niedersachsen. Laut Infratest gaben 53 Prozent der AfD-Wähler an, sie hätten die Partei nicht aus Überzeugung, sondern aus Enttäuschung über die anderen gewählt. Die Detailfragen sind alarmierend: 73 Prozent fürchten, dass Einkommen und Wohlstand spürbar sinken. Genauso viele sorgen sich vor einer großen Wirtschaftskrise – und 60 Prozent treibt sogar die Sorge um, dass sie aufgrund steigender Preise künftig ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können. Kein Wunder, dass Ministerpräsident Stephan Weil von schwierigen Gesprächen im Wahlkampf berichtet. Und kein Wunder, dass heute alle auf die Gaspreisbremse schauen.
Am schlechtesten ist die Laune in der FDP – die den ganzen Abend noch um den Wiedereinzug in den Landtag zittern muss. Ein wesentlicher Teil der FDP-Wähler fremdle mit der Ampel, sagt Parteichef Christian Lindner. Sein Problem: Aussteigen ist keine Option. Zu denken geben muss ihm, dass 40 000 der FDP-Wähler zur AfD überliefen. Von den wesentlich größeren SPD und CDU waren es 30 000 beziehungsweise 50 000. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai präsentiert sich sichtlich auf Krawall gebürstet: „Es kann nicht sein, dass sich mindestens ein Koalitionspartner permanent auf Kosten eines anderen profiliert.“ Das werde so nicht mehr funktionieren. Klingt nicht so, als ob es in der Ampel leichter wird.
Zumal die Grünen selbstbewusst auftreten dürfen. Vergessen sind die zwischenzeitlich höheren Umfragewerte. Im Vergleich zur letzten Wahl bleibt ein dickes Plus – und eine Regierungsbeteiligung in Niedersachsen. Der Alt-Linke Jürgen Trittin frohlockt: „Die Grünen sind die einzige Partei der Ampel, die zugelegt hat.“
Im Willy-Brandt-Haus herrscht gestern Abend erst einmal Erleichterung. „Die Ampelparteien haben gemeinsam eine Mehrheit in Niedersachsen geholt“, schwärmt SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. Alles nur halb so wild? Tatsächlich war der Erfolg der Genossen vor allem ein regionaler: Stephan Weil ist sehr beliebt – allein er holte ein Ergebnis, das fast doppelt so stark ist wie die SPD-Umfragewerte im Bund.
Andere Parteien müssten sich fragen, ob sie mit ihrem „nörgeln“ nicht die falschen gestärkt hätten, lästert Kevin Kühnert. Er meint vor allem die CDU und deren Vorsitzenden Friedrich Merz. „Wir müssen besser zeigen, was wir besser machen würden“, sagt der CDU-Wirtschaftspolitiker Carsten Linnemann, der allerdings keine strategischen Fehler sieht. Trotzdem dürfte sich das schlechteste Niedersachsen-Ergebnis seit 1955 in der Partei nicht vom Tisch wischen lassen. Spitzenkandidat Bernd Althusmann berichtet, er habe immer wieder zu hören bekommen, dass die Union ja 16 Jahre lang im Bund regiert habe.