Peking – Chinas Rückendeckung für Russland nach dem Einmarsch in die Ukraine hat Risse bekommen. Die Führung in Peking steckt im Dilemma: Die Gegnerschaft gegen die USA eint beide Länder – aber je länger der Konflikt dauert, desto stiller wird die Unterstützung für Moskau. Kritische Stimmen werden lauter. „Russlands Verhalten bei Beginn und Durchführung des Krieges beweist, dass sein militärisches Abenteuer rücksichtslos ist und seine konventionellen Streitkräfte schwach sind“, sagt etwa der Professor für internationale Beziehungen, Shi Yinhong, von der Volksuniversität in Peking.
Wichtig ist in China oft auch, was nicht gesagt wird: So erwähnten gestern führende Außenpolitiker auf dem Kongress der Kommunistischen Partei die eigentlich „grenzenlose Freundschaft“ mit Russland vor der Presse mit keinem Wort. Auch ist es üblich, dass ein russischer Journalist anfangs die zweite oder dritte Frage zur Partnerschaft mit Moskau stellen darf. Diesmal nicht.
Russlands Präsident Wladimir Putin hatte im Oktober bei einem Treffen mit Staats- und Parteichef Xi Jinping schon „Sorgen und Fragen“ auf chinesischer Seite anerkannt – wissend, dass er Peking einiges abverlangt. Mit den Rückschlägen der russischen Streitkräfte auf dem Schlachtfeld habe sich Chinas Position „schnell auf eine neue Stufe entwickelt“, glaubt Professor Shi Yinhong. Die Annexion der besetzten Gebiete in der Ukraine nach den Scheinreferenden habe die Unterstützung offenbar weiter schwinden lassen.
Wenn Olaf Scholz am 4. November zu seinem ersten Besuch als Kanzler in Peking erwartet wird, wird der Ukraine-Krieg eine wichtige Rolle spielen. Aber auch die forsche Außenpolitik Chinas, die mit ihrem propagierten „Kampfgeist“ zunehmend auf Gegenwind stößt. Das erste Treffen von Außenministerin Annalena Baerbock mit ihrem chinesischen Kollegen Wang Yi bei der UN-Generalversammlung in New York sei „nicht gut gelaufen“, verrieten informierte Kreise. Scholz gerät gerade innenpolitisch wegen des geplanten Verkaufs eines Teils des Hamburger Hafens an ein chinesisches Staatsunternehmen unter Druck (siehe Wirtschaft).
Das Auswärtige Amt arbeitet an einer neuen China-Strategie. Baerbock betont nach den Erfahrungen mit Russland, dass sich Deutschland von keinem Land mehr existenziell abhängig machen dürfe, „das unsere Werte nicht teilt“. Solche Fehler dürften nicht zweimal gemacht werden. Wirtschaftliche Abhängigkeit mache Deutschland „politisch erpressbar“, sagte sie der „SZ“. „Es geht nicht um komplette Abkopplung, was bei einem der größten Länder nicht geht. Aber Erschließung alternativer Märkte im asiatischen Raum.“
Auch deutsche Nachrichtendienste sorgen sich wegen China. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, warnte am Montag vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium, dass auf Dauer die weit erheblichere Bedrohung deutscher Sicherheit und Interessen von China ausgehe: „Russland ist der Sturm, China ist der Klimawandel.“ Außenamtssprecher Wang Wenbin konterte in Peking: „Hört auf, die sogenannte Spionagegefahr durch China aufzubauschen, und hört auf, Gerüchte in die Welt zu setzen, die China anschwärzen.“
Also keine leichte Reise für Scholz. Er wird der erste ausländische Regierungschef sein, der Staats- und Parteichef Xi Jinping nach dessen erwarteter Wiederwahl auf dem Parteitag trifft. Auch wird der Kanzler der erste Regierungschef eines G7-Mitglieds sein, der China seit Ausbruch der Corona-Pandemie und Beginn des Kriegs in der Ukraine besucht. Scholz wird ausloten müssen, wo Xi Jinping wirklich steht. Vor allem in Bezug auf Russland.