London – Es ist keine zwei Monate her, dass Rishi Sunak seine Hoffnung, britischer Premier zu werden, an den Nagel hängen musste. Nur sieben Wochen nach seiner Niederlage gegen Liz Truss zieht der 42-Jährige nun doch in die Downing Street ein – ein beispielloses Chaos in seiner Partei macht es möglich. Im Vereinigten Königreich steht mit dem als Sohn indischer Einwanderer in England geborenen Sunak erstmals ein Angehöriger einer ethnischen Minderheit an der Spitze der Regierung. Kann dieser Mann die tief gespaltene Partei einen und sein Land in ruhigeres Fahrwasser führen?
Zumindest müssen ihm sogar Kritiker zugutehalten: Sunak hatte Recht. Immer wieder warnte er im parteiinternen Wahlkampf um die Johnson-Nachfolge vor genau jenem Chaos an den Finanzmärkten, das später ausbrach. Die radikalen, nicht gegenfinanzierten Steuersenkungen von Liz Truss ließen die Zinsen in die Höhe schießen und das Pfund in den Keller rauschen, was den Anfang von ihrem Ende einleitete.
Sunak, selbst ehemaliger Investmentbanker, gilt Ökonomen als sichere Bank. Zwar träumt auch er von niedrigen Steuern und einem deregulierten Markt, warnt aber klar vor „Fantasie-Ökonomie“. Sunak habe als Finanzminister seine Wirtschaftskompetenz bewiesen, sagt der britisch-deutsche Wirtschaftswissenschaftler Andrew Lee. In der Corona-Pandemie brachte Sunak das der deutschen Kurzarbeit ähnelnde „Furlough“-Programm auf den Weg, mit dem in Großbritannien Millionen Jobs gerettet wurden.
„Sunak wird kurzfristig mehr Stabilität bedeuten, einfach, weil er nicht Liz Truss oder Boris Johnson ist“, sagt Lee, der an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg lehrt und von Karlsruhe aus oft staunend das Chaos in seinem Heimatland verfolgt.
Zugute kommt Sunak, dass er mehr als die Hälfte der 357 Köpfe starken Tory-Fraktion hinter sich hat. Schon im Sommer-Wahlkampf war er der Favorit der Parlamentsfraktion, verlor aber in der 180 000 Mitglieder starken Partei gegen Truss. Bezeichnend ist, dass sich nun mit Ex-Innenministerin Suella Braverman und Handelsministerin Kemi Badenoch auch Vertreterinnen des rechten Flügels hinter Sunak stellen.
Das dürfte daran liegen, dass dieser – trotz seines Migrationshintergrunds – in der Einwanderungspolitik einen harten Kurs verfolgt. Seine Familie sei vor 60 Jahren nach Southampton gekommen. „Aber es war Großbritannien, unser Land, das ihnen und Millionen anderen die Chance auf eine bessere Zukunft gegeben hat“, betont er. Als Premier will der Konservative solche Chancen nur noch sehr beschränkt vergeben: Priorität der Tories ist es, die Tausenden, auf Schlauchbooten über den Ärmelkanal kommenden Migranten zu stoppen und so bald wie möglich nach Ruanda auszufliegen. Sunak will an dem umstrittenen Pakt seiner Vorgänger mit dem ostafrikanischen Land festhalten.
Die Kontrolle über die eigenen Grenzen zu gewinnen und Migration deutlich zu begrenzen war eines der zentralen Versprechen des Brexits. Sunak ist ein Brexiteer der ersten Stunde. Im Sommer versprach er, innerhalb der ersten 100 Tage als Premier jedes aus EU-Zeiten übernommene Gesetz auf den Prüfstand zu stellen. Welches Ergebnis ihm vorschwebt, zeigte ein Video, in dem Sunak stapelweise EU-Gesetze in den Schredder steckt.
Ob Sunak auch Wahlen gewinnen kann, muss sich zeigen. Zum Verhängnis werden könnte ihm der enorme Reichtum seiner Familie: Seine Frau Akshata Murty hält einen hunderte Millionen Pfund schweren Anteil am indischen IT-Giganten Infosys, den ihr Vater N.R. Narayana Murty mitgegründet hat. Die „Times“ erwähnte das Paar Sunak/Murty, das zwei Töchter hat, in diesem Jahr auf ihrer Liste der reichsten Menschen in Großbritannien. Viele können sich nicht vorstellen, dass Sunak sich ernsthaft in die Sorgen ärmerer Leute hineinversetzen kann. Dass ausgerechnet seine vermögende Frau zeitweise mit einem speziellen Steuerstatus keine Steuern auf Einkünfte im Ausland zahlte, machte den Eindruck nicht besser.
Immerhin: Die Zeiten der ausschweifenden Partys in der Downing Street dürften vorerst der Vergangenheit angehören. Der Hindu lebt abstinent. Als seine größten Laster gelten Cola und Twix – und selbst dabei soll er sich zuletzt gemäßigt haben.