VON SEBASTIAN HORSCH
657 Reden hat Frank-Walter Steinmeier bis Donnerstag als Bundespräsident gehalten. Seit Freitag sind es nun 658. Trotz all der pflichtschuldigen Lobesworte aus der Politik: Sehr viel wird von seiner Ansprache zur Lage der Nation wohl eher nicht hängen bleiben.
Ein „Mutmacher“ wollte Steinmeier werden, als er 2017 zu seiner ersten Amtszeit antrat. Und den Versuch, eine Mutmacher-Rede zu halten, kann man ihm auch diesmal nicht absprechen. Steinmeier sagt viel Richtiges. Er hat Recht, dass Deutschland in einer anstehenden „Epoche im Gegenwind“ mehr Verantwortung tragen muss und kann. Auch dass es in schweren Zeiten besonders auf den Einsatz des Einzelnen ankommt, ist zweifellos wahr. Doch gleichzeitig verliert sich der Präsident immer genau dann im Vagen und Oberflächlichen, wenn es interessant werden könnte. Da helfen auch wuchtige Worte wie „Epochenbruch“ und „Zerreißprobe“ nichts.
Doch nicht allein Steinmeiers technokratische Veranlagung sorgt dafür, dass ihm kein Auftritt gelingt wie einst Roman Herzog oder Richard von Weizsäcker. Auch seine Vergangenheit als einer der Verantwortlichen für die aktuellen Nöte hängt wie ein Mühlstein um den Hals dieses Bundespräsidenten. Bei jedem Appell an die Opferbereitschaft der Bürger denkt man unweigerlich daran, dass doch er es war, der als Strippenzieher im Kanzleramt und Außenminister Deutschland mit in die Energie-Abhängigkeit von Russland geführt hat. Dass er – anders als die Altkanzlerin – inzwischen Fehler eingesteht, ehrt Steinmeier. Doch als Mutmacher bleibt er glücklos.
Sebastian.Horsch@ovb.net