Washington – Für US-Präsident Joe Biden sind die Kongress-Zwischenwahlen am kommenden Dienstag – die „Midterms“ – ein „definierender Augenblick für die Demokratie“. In einer kurzfristig angesetzten 20-minütigen Rede an die Nation zur besten Sendezeit beschwor Biden eine Bedrohung durch politisch motivierte Gewalt und Wähler-Einschüchterung, die über den Wahlen schweben würde. Dem Land drohe „Chaos“, wenn die Anhänger von Ex-Präsident Donald Trump ihre Strategie fortsetzen würden, Wahlergebnisse anzuzweifeln, die nicht zu ihren Gunsten ausfallen.
Nach Ansicht des Präsidenten sind diese „Wahl-Zweifler“ und die Erstürmung des Kongresses durch Trump-Unterstützer auch mitverantwortlich für den Einbruch in der Villa von Parlamentspräsidentin Nancy Pelosi. Dabei hatte ein als drogenabhängig und gelegentlich verwirrt handelnder polizeibekannter Angreifer aus Berkeley (Kalifornien) den Ehemann Pelosis mit einem Hammer verletzt. Das eigentliche Ziel sei jedoch die Demokratin gewesen, so die Polizei.
Biden betonte, politische Differenzen dürften nicht durch Unruhen, einen Mob, eine Kugel oder einen Hammer ausgetragen werden. Man gehe mit solchen Differenzen „friedfertig an der Wahlurne“ um. Biden hatte in der Vergangenheit mehrfach erklärt, bei einem Teil der Trump-Unterstützer handele es sich um „Extremisten“, die falsche Informationen über den Ausgang der Wahl im Jahr 2020 verbreiten würden. Mehrfach ging Biden in seiner Ansprache auf angebliche Wähler-Einschüchterung durch die Republikaner ein, die sich auch auf die bevorstehende Abstimmung auswirken werde. Allerdings zeigt das bisherige Verhalten durch Wähler bei frühen Stimmabgaben in umkämpften Bundesstaaten wie Georgia, dass von einer Einschüchterung keine Rede sein kann und vermutlich neue Wahlbeteiligungs-Rekorde ins Haus stehen.
Während Biden auf akute innenpolitische Probleme wie die hohe Inflation, Lieferengpässe, beunruhigende Gewalt-Kriminalität in den meisten US-Großstädten oder die hohe Zahl der seit seinem Amtsantritt ins Land eindringenden illegalen Migranten mit keinem Wort einging, widmete er sich ausführlich seinem Vorgänger. Amerika sei „unter Beschuss“, weil der besiegte frühere Präsident sich weigere, den Willen der Wähler im Jahr 2020 zu akzeptieren. Trump habe, so Biden, seine Macht missbraucht. Er zeige Loyalität nur sich selbst gegenüber, aber nicht gegenüber der Verfassung.
Die Rede Bidens dürfte der spektakuläre Schlusspunkt unter einem Wahlkampf gewesen sein, in dem sich der Präsident in einem Teil der Bundesstaaten, in denen es für Demokraten eng werden könnte, rar gemacht hat. Ein Teil der Volksvertreter empfand ihn als Ballast und wünschte keine Wahl-Hilfen von Biden. Laut Umfragen könnten die Demokraten im 100-köpfigen Senat – von dem ein Drittel neu gewählt wird – knapp die Mehrheit behalten. Es droht aber der Verlust des Repräsentantenhauses, was künftige Gesetzesinitiativen des Weißen Hauses stark limitieren dürfte. Schon Bidens früherer Chef Barack Obama musste sechs seiner acht Amtsjahre ohne eine Mehrheit im Kongress regieren, was seine Arbeit beeinträchtigte. FRIEDEMANN DIEDERICHS