München/Berlin – Bevor er nach China aufbricht, nimmt sich der Bundeskanzler noch Zeit für einen Termin in Berlin. Die Regierungschefs von Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien sind am Donnerstag zum Westbalkangipfel in der deutschen Hauptstadt zu Gast. „Die sechs Staaten des westlichen Balkans gehören zum freien und demokratischen Teil Europas“, sagt Olaf Scholz (SPD). Und fordert: Die Anstrengungen für die vor 20 Jahren begonnene Integration der Länder in die EU müssten verstärkt werden. „Es ist unsere Aufgabe, diese Versprechen in die Realität umzusetzen“, sagt der Kanzler. Und zwar „so schnell wie möglich“. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) findet warme Worte – und kündigt zeitnah eine Milliarde Euro an Zuschüssen aus Brüssel an, um die Länder in der Energiekrise zu unterstützen.
Das neuerdings wieder gesteigerte Interesse der EU an der Region im Südosten Europas kommt nicht von ungefähr. Auch Scholz sagt das mehr oder weniger offen. „Russlands brutaler Angriffskrieg gegen die Ukraine zwingt uns dazu, zusammenzustehen und Europas Freiheit sicher zu verteidigen“, betont der Kanzler. Zudem weitet China seit Jahren seinen wirtschaftlichen Einfluss auf die Region aus. In Zeiten, in denen das geopolitische Klima immer rauer wird, wüsste die EU ihre Nachbarn am liebsten auf ihrer Seite – besonders, wenn diese wie der Westbalkan geografisch eigentlich mitten in Europa liegen.
Doch ganz so einfach ist das nicht – denn zu Russland gibt es in der Region alte und enge Bande. Serbiens Präsident Aleksandar Vucic hat vor Jahren einmal gesagt: „Fragte man meine Landsleute, ob sie Russen oder Westeuropäer lieber mögen, würden 90 Prozent sagen: die Russen. Aber wenn es um die Gesellschaft geht, in der sie leben wollen, würden sich bis zu vier Fünftel für das westliche Modell entscheiden.“
Dazu kommt, dass die EU die Balkan-Länder schon recht lange zappeln lässt. Seit 2014 verhandelt Serbien mit der Union offiziell über seinen Beitritt, aber eigentlich sprechen Belgrad und Brüssel schon seit dem Sturz von Slobodan Milosevic im Jahr 2000 darüber. Nordmazedonien, das frühere Mazedonien, ist schon seit 17 Jahren Beitrittskandidat. Vor bald vier Jahren hat das Land sogar seinen Namen geändert, um die Griechen freundlich zu stimmen, die sich selbst auf das Erbe Alexanders des Großen berufen. Zum EU-Beitritt der Länder ist es bisher trotzdem nicht gekommen – was allerdings nicht zuletzt auch an deren eigenen innenpolitischen Problemen liegt – zum Beispiel beim Kampf gegen Korruption.
Der FDP-Innenpolitiker Stephan Thomae spricht ein weiteres Problem an, das auch Deutschland im Magen liegt: „Es darf nicht einfach hingenommen werden, dass Serbien Geflüchtete aus anderen Ländern visafrei einreisen lässt, um sie dann weiter in EU-Mitgliedstaaten zu schleusen.“ Die Beitrittsverhandlungen mit Belgrad müssten unverzüglich eingefroren werden, „solange die serbische Regierung bei diesem europafeindlichen Kurs bleibt“, sagt Thomae.
Doch die Verhandlungen einzufrieren, hieße Serbien wegzustoßen. Und das, während Moskau längst versucht, Reibungspunkte wie den immer wieder hochkochenden Konflikt zwischen Serbien und Kosovo auszunutzen, um für Unruhe zu sorgen. Kosovo hatte sich nach dem Krieg 1999 von Serbien abgespalten und 2008 für unabhängig erklärt – was Belgrad aber nicht anerkennt. Für Albaniens Ministerpräsident Edi Rama ist klar, dass Russland den Konflikt seiner Nachbarn anheizt und den fragilen Frieden gefährdet. „Putin sagt: Kosovo, Kosovo, Kosovo“, schilderte Rama dem „Spiegel“.
Am Donnerstag gelingt den Westbalkan-Staaten hingegen ein verbindender Schritt. Sie schließen Abkommen zur gegenseitigen Anerkennung von Personalausweisen, Universitätsdiplomen und Berufsabschlüssen.