Paris – Nach erheblichen Spannungen in den letzten Monaten haben Deutschland und Frankreich am 60. Jahrestag des Élysée-Vertrags die Bedeutung ihrer Freundschaft beschworen. Der französische Präsident Emmanuel Macron sagte am Sonntag bei einem Festakt in der Pariser Sorbonne-Universität, Deutschland und Frankreich seien für ihn wie „zwei Seelen in einer Brust“. „Für einen Franzosen über Deutschland zu sprechen heißt, über einen Teil von sich selber zu sprechen“, sagte er vor mehr als 30 Ministern beider Regierungen und rund 200 Parlamentariern.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dankte den „französischen Brüdern und Schwestern“ auf Französisch für ihre Freundschaft. Die Meinungsverschiedenheiten wertete er als Normalität. „Der deutsch-französische Motor ist eine Kompromissmaschine – gut geölt, aber zuweilen eben auch laut und gezeichnet von harter Arbeit“, sagte er. „Seinen Antrieb bezieht er nicht aus süßem Schmus und leerer Symbolik. Sondern aus unserem festen Willen, Kontroversen und Interessenunterschiede immer wieder in gleich gerichtetes Handeln umzuwandeln.“
Verbunden mit dem Festakt war eine gemeinsame Kabinettssitzung, die wenig Konkretes brachte. Unter anderem vereinbarten beide Regierungen die Verlängerung einer Wasserstoff-Pipeline von Frankreich nach Spanien bis nach Deutschland. Der Ukraine sagen sie „unerschütterliche Unterstützung“ zu. Zur Lieferung von Kampfpanzern sagte Macron am Abend, was das französische Modell Leclerc angehe, „ist nichts ausgeschlossen“. Voraussetzung einer Bereitstellung sei, dass sie den Konflikt nicht eskaliere und die eigene Verteidigungsfähigkeit nicht schwäche.
Vor 60 Jahren wurde der Élysée-Vertrag zur Aussöhnung der beiden einstigen Erbfeinde in Paris unterzeichnet. Er gilt bis heute als Grundlage für die deutsch-französische Zusammenarbeit. Zum Jubiläums-Festakt kamen fast das ganze Scholz-Kabinett – nur Arbeitsminister Hubertus Heil fehlte – und 100 deutsche Parlamentarier.
Im selben Saal, in dem der Festakt stattfand, entwarf Macron vor gut fünf Jahren seine Vision eines souveränen Europas – ohne je eine Antwort der damaligen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu bekommen. Scholz reagierte im Sommer mit einer Grundsatzrede in Prag, in der er auf die Bedeutung der deutsch-französischen Freundschaft aber nicht näher einging. Beides kam in Frankreich nicht gut an.
In Paris bedankte sich der Kanzler jetzt ausdrücklich für Macrons Sorbonne-Rede. „Heute arbeiten wir Seite an Seite daran, Europas Souveränität zu stärken“, betonte er. Die Kräfte müssten dort gebündelt werden, wo die Nationalstaaten allein an Durchsetzungskraft eingebüßt hätten: bei der Sicherung von Werten und Demokratie, aber auch im Technologie-Wettbewerb.
Macron begrüßte den Kanzler vor der Sorbonne mit einer Umarmung. Deutschland und Frankreich seien entschlossen, ihre Freundschaft „zu einem der Lebensbäume der europäischen Souveränität“ zu machen, sagte er in seiner Rede. „Sie können sicher sein, dass wir beide dieses einst unmögliche Paar, das einfach das Ergebnis von Wille, Mut und Stärke ist, weiter voranbringen werden.“
Im Konflikt um das amerikanische Klimaschutz-Investitionsprogramm geht Scholz von einer Lösung in den nächsten Monaten aus. Er sei „sehr zuversichtlich, dass wir im Laufe des ersten Teils dieses Jahres da notwendige Verständigungen erzielen können“. Das US-Antiinflationsgesetz sieht milliardenschwere Investitionen in den Klimaschutz vor. Subventionen und Steuergutschriften sind daran geknüpft, dass Firmen US-Produkte verwenden oder selbst in den USA produzieren. Europa fürchtet Nachteile für hiesige Unternehmen.
Seit dem Amtsantritt von Kanzler Scholz vor gut einem Jahr hatte es immer wieder Verstimmungen im deutsch-französischen Verhältnis gegeben. So missfielen Paris der deutsche Widerstand gegen einen EU-Gaspreisdeckel und das 200-Milliarden-Programm der Bundesregierung zur Abfederung der Energiekosten. Macron warf Deutschland vor, sich in Europa zu isolieren. Die für Oktober geplanten Beratungen beider Regierungen mussten vertagt werden. Zuletzt lief die Abstimmung bei den Waffenlieferungen in die Ukraine nicht rund. Macron preschte bei der Entscheidung über Schützenpanzer vor und verkündete sie einen Tag vor Scholz und US-Präsident Joe Biden. Vielleicht hat das Treffen am Sonntag die Spannungen etwas gelöst.
Zuletzt knirschte es oft zwischen Berlin und Paris