„Wir müssen Asyl-Leistungen senken“

von Redaktion

Scharfe Kritik an der Migrationspolitik, Zweifel an den Russland-Sanktionen: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) eckt auch in der eigenen Partei gelegentlich an. Wir haben uns mit dem 48-Jährigen zum ausführlichen Interview in München getroffen.

Sie gehen oft offensiv auf Demonstranten und Wutbürger zu, lassen sich anbrüllen, argumentieren. Was wird Ihnen zurzeit entgegengeschrien?

Zum großen Teil geht es zurzeit um dieses Heizungsgesetz – weil es handwerklich schlecht ist und die Haltung dahintersteckt, dass der Staat die Menschen erziehen will. Von oben herab, par ordre du mufti. Das erzeugt enormen Frust. Dazu kommen der Krieg, der den Menschen extrem viele Sorgen bereitet, ebenso wie die ökonomischen Folgen, die längst zu Hause angekommen sind.

Ein großer Streitpunkt ist auch die Migration. Hat der Asylgipfel neulich beim Kanzler Zeit erkauft oder Zeit vertrödelt?

Uns läuft die Zeit davon. Die Ministerpräsidenten sind sich einig, dass diese Zahlen die Kommunen überfordern – nicht nur bei der Unterbringung, sondern auch bei Schulen, Kindergärten, Integration. Seit mehr als einem halben Jahr sind wir in einem offenen Gespräch mit dem Kanzler. Doch die SPD schafft es nicht, sich gegen die Grünen in der Bundesregierung durchzusetzen. Es bräuchte ein sehr konsequentes Handeln an der Außengrenze. Stattdessen fährt Frau Baerbock durch die Gegend und macht im Alleingang Aufnahmeprogramme ohne Rücksicht auf europäische und nationale Sicherheitsinteressen. Das geht so nicht. Die Grünen haben in ihrer Ideologie keinen Respekt mehr vor der Mehrheitsmeinung in Deutschland. Und Olaf Scholz vergisst, dass er als Vizekanzler 2018 einer Obergrenze bei der Zuwanderung zustimmte. Was damals richtig war, kann heute nicht falsch sein.

Sie verlangen: Ankunftszahlen runter. Wie soll das funktionieren?

Denen, die unmittelbar bedroht sind, müssen wir helfen, das ist gar keine Frage. Aber das können nicht 300 000, 400 000 pro Jahr sein. Wir müssen dringend über Leistungen an Asylbewerber reden und das in Europa vergleichen. Ganz offensichtlich ist das der zentrale Punkt, warum alle Asylbewerber quer durch Europa zu uns wollen. Wenn wir eine funktionierende EU und offene Binnengrenzen haben wollen, müssen wir unsere Leistungen senken und an einen europäischen Wert anpassen.

Konkret: Wo kürzen?

Ich will das ganz unaufgeregt anpacken. Zum Beispiel mit einer Kommission zusammen mit Vertretern aus allen Bereichen. Kein politisches Kampffeld, sondern Experten, die in drei bis sechs Monaten bindende Vorschläge erarbeiten. Auch in der Energiepolitik wäre das übrigens der bessere Weg.

Trauen Sie dem Konzept des Außengrenzschutzes in der EU wirklich?

Ich war bei Frontex in Warschau und traue denen sehr viel zu. Die Grenze Türkei-Griechenland ist sicher, die Grenze Belarus-Polen war sicher. Man kann das hinbekommen, muss aber eben auch den zentralen Pull-Faktor – unsere sozialen Leistungen – senken. Wir müssen unsere Unfähigkeit beenden, Menschen ohne Asylanspruch in ihre Heimatländer zurückzubringen. Hinzu kommt eine starke Arbeit außerhalb der EU mit einer wirksamen Entwicklungshilfe, die Lebensperspektiven für die Menschen in diesen Ländern schafft.

Sie erleben in Ostdeutschland eine AfD, die stärkste Kraft geworden ist. Macht Ihnen das Angst?

Ich sehe diese Entwicklung mit großer Sorge. Unser Unvermögen, Probleme in diesem Land anzusprechen und zu klären, führt zur Stärke dieser AfD. Daran haben die Grünen leider einen riesigen Anteil mit der autokratischen Ampel-Politik.

Scheren Sie auch deshalb in der Russland/Ukraine-Politik aus, um Ihrem Wahlvolk nach dem Mund zu reden?

Wir haben eine eigene Meinung zu den Sanktionen, zur Frage, wie man diesen Krieg beenden kann. Die ökonomischen Folgen der Sanktionen für uns selbst, vor denen ich seit einem Jahr gewarnt habe, sind exakt so eingetreten – Energiepreise, enorme Inflation. Ich will auch, dass die Ukraine diesen Krieg nicht verliert, dass man der Aggression etwas entgegensetzt. Das heißt aber auch: Wir müssen als Westen wirtschaftliche Stärke zeigen. Und indem wir Russland komplett von allem abkoppeln, sogar Kontakte in die Zivilgesellschaft und Wissenschaft kappen, berauben wir uns unserer Optionen.

Sie lehnen auch die Kampfjet-Lieferung ab?

Schauen wir uns mal an, was den Deutschen in den letzten zwölf Monaten alles erzählt wurde, was wir keinesfalls – niemals – machen: Kriegspartei werden, Waffen liefern, Angriffswaffen, Panzer. Eines nach dem anderen findet statt, wir sind auf einer schiefen Ebene. Während wir auf diplomatische Initiativen verzichten, überlassen wir den Chinesen mögliche Verhandlungen, um diesen Krieg anzuhalten. All das erzeugt kein Vertrauen in die Politik.

Interview: Christian Deutschländer, Marcus Mäckler

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