München – Die Feststellung, Deutschland sei „der kranke Mann Europas“, ist bald ein Vierteljahrhundert alt, aber erstaunlich frisch. 1999 kam der „Economist“, eines der weltweit wichtigsten Wirtschaftsmagazine, zu dem traurigen Ergebnis – und bewies eine hohe Treffsicherheit. Im Laufe der Jahre hat das Land einen steilen Aufschwung hingelegt, doch nun ist der Gesundheitszustand der Wirtschaft wieder ein großes Thema. Und die K-Diagnose in aller Munde.
Erst recht, seit der Internationale Währungsfonds (IWF) Deutschland dieser Tage bescheinigt hat, unter den weltweit größten Volkswirtschaften das Konjunktur-Schlusslicht zu sein. In seiner Prognose geht der IWF davon aus, dass die Wirtschaftsleistung, als einzige unter mehr als 20 untersuchten Staaten und Regionen, in diesem Jahr leicht sinken wird.
Die Opposition ist alarmiert und sieht sich bestätigt in ihrer Kritik am Wirtschaftskurs der Bundesregierung. „Deutschland verliert an Wettbewerbsfähigkeit“, warnt CDU-Chef Friedrich Merz. Das sei „kein abrupter Prozess, der eine Wirtschaftskrise über Nacht auslöst. Wir erleben stattdessen einen schleichenden Prozess der Deindustrialisierung unseres Landes.“
Merz verweist auf steigende Arbeitslosenzahlen im Sommer, wo der Trend gewöhnlich nach unten zeigt, eine zunehmende Zahl von Insolvenzen und eine rückläufige Industrieproduktion: „Das muss uns als ein Land mit hohem Industrieanteil zutiefst besorgen.“
Einen Schritt weiter geht Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. „Wir brauchen dringend ein Sofortprogramm für die deutsche Wirtschaft“, sagte er unserer Zeitung. „Die Konjunktur wächst in der ganzen Welt, doch bei uns schrumpft sie.“ Das sei „ein selbst verursachtes Problem der Ampel“ und in höchstem Maße alarmierend. Ein gedeckelter Strompreis für die Industrie, wie er seit Monaten diskutiert wird, sei zu wenig.
Konkret fordert der CSU-Chef ein Absenken der Energiesteuern auf das europäische Mindestmaß und das Streichen der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel sowie der Erbschaftssteuer auf das Elternhaus. Zudem solle der Bund mit dem Bau von Schulen, Straßen und Brücken die sinkende Nachfrage im Bausektor abfedern. „Eine Industrienation im internationalen Wettbewerb braucht einen Plan – und endlich einen Wirtschaftsminister, der sich nicht nur auf das Klima konzentriert. Denn die Wirtschaftskraft entscheidet über die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.“
Selbst innerhalb der Bundesregierung hat die Frage, wie auf die eingebremste Konjunktur reagiert werden sollte, Potenzial für den nächsten Streit. Während aus den Reihen der Grünen Rufe nach einer „Investitionsoffensive“ laut wurden und Wirtschaftsminister Robert Habeck seit Monaten für seinen Plan eines subventionierten Industriestrompreises kämpft, erteilt die FDP den Forderungen eine schroffe Absage.
Generalsekretär Bijan Djir-Sarai forderte Habeck am Wochenende auf, „endlich konstruktiv tätig“ zu werden, „statt am laufenden Band Milliarden für Subventionsprogramme zu fordern, die am Kern des Problems völlig vorbeizielen“. Es brauche zunächst ein strategisches Konzept für Energieversorgung und -sicherheit.
Ohnehin sei nicht nachvollziehbar, sagt Djir-Sarai, „dass Deutschland solch ein strategisches Energiekonzept nicht hat und sichere Kernkraftwerke abgeschaltet wurden“. Es sei jetzt die Zeit für eine Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit: „Nicht für noch mehr Subventions- und Sozialprogramme und noch mehr Schulden.“ Diese Botschaft, mahnt der Generalsekretär, „braucht es aus dem Bundeswirtschaftsministerium“. mit dpa