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Werden Anne Brorhilker die Cum-Ex-Flügel gestutzt?

von Redaktion

Wer sich in Deutschland mit Mächtigen aus Politik und Wirtschaft anlegt, der muss sich warm anziehen. Anne Brorhilker, die Kölner Oberstaatsanwältin, kennt das schon. Ihre derzeitige Hauptabteilung ermittelt zurzeit in 120 Verfahren gegen 1700 Beschuldigte aus der Finanzwelt im Cum-Ex-Steuerskandal. Frau Brorhilker insbesondere ist es auch zu verdanken, dass der Bundesgerichtshof den Handel von Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende zur Erschleichung von ungerechtfertigten Steuerrückzahlungen als einen kriminellen Griff in die Staatskasse eingestuft hat. Steuerfahnder schätzen den Gesamtschaden in diesem wohl größten deutschen Steuerbetrug auf mehr als 10 Milliarden Euro.

Bei so viel Arbeit täte der NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) gut daran, die Abteilung von Frau Brorhilker weiter zu vergrößern. Niemand hat sich so intensiv in die komplizierte Materie der Cum-Ex-Tricksereien eingearbeitet wie sie. Stattdessen will er die Hauptabteilung B der verdienten Aufklärerin aufteilen. Damit verliert sie die Zuständigkeit für die Hälfte der bei ihr zu bearbeitenden Verfahren. Dem Vernehmen nach soll ein anderer Staatsanwalt dafür zuständig werden, der vom Jugendstrafrecht kommt und keinerlei Erfahrung in Wirtschaftsstrafverfahren hat. Mit dem müsste sich dann Frau Brorhilker abstimmen.

Das hat zumindest ein „Geschmäckle“, wie man im Schwäbischen sagt. Denn gerade jetzt steht mit dem Hamburger Bankier Christian Olearius von der einstmals angesehenen Warburg Bank, einer der prominentesten Verdächtigen in Bonn vor Gericht. Ihm wird nicht nur vorgeworfen, für seine vermögenden Kunden Zahlungen in Höhe von zig Millionen erschlichen zu haben. Er soll dazu auch für sich selber geschickt in die Staatskasse gegriffen haben. Seine mehrfach bezeugten „Gespräche“ mit dem heutigen Bundeskanzler Olaf Scholz, als die Hamburger Finanzbehörde ihm auf den Fersen war, bilden dabei einen ungeklärten politischen Hintergrund, auch wenn sie mit dem Strafverfahren in Bonn direkt nichts zu tun haben mögen.

Peinlich, besonders für die in NRW laufenden Gerichtsverfahren, ist aber die Tatsache, dass auch die dortige Landesbank in großem Umfang Cum-Ex-Geschäfte getätigt hat. Im Aufsichtsrat der WestLB saß der NRW-Justizminister Norbert Walter-Borjans (SPD). Will der Staat also nun eine Tat bestrafen, die er selber ebenso begangen hat? Das zumindest werden kluge Anwälte in Verfahren wie gegen Olearius behaupten. Sie werden vortragen, der Staat verletze mit seiner Anklage den klassischen Rechtsgrundsatz des unzulässigen widersprüchlichen eigenen Handelns. Oder ganz drastisch ausgedrückt, könnte in Bonn der Staat zu Gericht sitzen wie der Dorfrichter Adams in der Komödie „Der zerbrochene Krug“ über eine Tat, die er selber begangen hat.

Es bleibt zu hoffen, dass die Richter in Köln sich durch solche Überlegungen kein X für ein U vormachen lassen. Denn im Strafrecht gibt es keine Berufung auf das Fehlverhalten anderer Personen. Es geht um persönliche Schuld. Die muss in jedem Einzelfall geprüft und bewiesen werden. Zweifel daran aber wirken zugunsten des Angeklagten.

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VON DIRK IPPEN

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