München/Ramallah – Steven Höfner ist Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung im Westjordanland, das neben dem Gazastreifen Teil des Staates Palästina ist. Wir haben ihn in Ramallah erreicht. Höfner hält die Lage für höchst explosiv – und schließt nicht aus, dass der Iran in den Krieg einsteigt.
Herr Höfner, wie ist die Situation in Ramallah?
Es liegt Anspannung in der Luft. Gestern gab es einen Generalstreik, die meisten Geschäfte sind zu, die Menschen bleiben zu Hause. Alle blicken Richtung Gaza. Es gab vereinzelt Angriffe auf Militär-Checkpoints und in den letzten zwei Tagen ein Dutzend Tote Palästinenser im Westjordanland. Viele sind sich sicher, dass sich in den nächsten Tagen die Situation auch hier verschärft.
Ist ein Aufstand denkbar?
Die Hamas hat bereits am Samstag ihre Anhänger im Westjordanland aufgerufen, zu den Waffen zu greifen. Wir wissen, dass es hier viele bewaffnete militante Gruppen gibt, die auch kampfbereit sind. Das Risiko ist hoch.
Israel hat die komplette Abriegelung des Gazastreifens angeordnet. Keine Energie, keine Lebensmittel. Was bedeutet das?
Der Gazastreifen wird überwiegend von außen versorgt. Man sagt, dass der Vorrat an Treibstoff und Lebensmitteln nach etwa zehn Tagen aufgebraucht sein wird. Danach droht eine humanitäre Katastrophe. In der Vergangenheit gab es häufig nach sieben Tagen Entspannungszeichen, um zumindest humanitäre Hilfe zu ermöglichen. Aber dieser Angriff ist in seiner Brutalität so einzigartig, dass man keine Vergleiche mehr ziehen kann. Für die Menschen in Gaza gibt es keine Fluchtmöglichkeiten. Sie sind in Gefahr – und die Hamas ist dieses Risiko ganz bewusst eingegangen.
Israel hat eine komplette Zerschlagung der Hamas angekündigt.
Israel wird nicht mehr akzeptieren, dass die Hamas im Gazastreifen die Kontrolle hat. Die Ereignisse sind eine Zäsur in dem Konflikt. Die Szenarien reichen von einer kompletten Besetzung des Gazastreifens mit Bodentruppen über eine völlige Zerstörung der Hamas-Strukturen bis hin zu einer neuen Formierung der Gebiete inklusive des Westjordanlandes. Die Hamas-Strukturen sind aber nicht so einfach zu zerstören. Es gibt sehr viele Zellen, auch im Westjordanland. Und sie ist international vernetzt.
Auch mit dem Iran …
Der Iran hat die Hamas mit Waffen, Technik und Finanzmitteln ausgestattet. Dieser Angriff kann niemals nur im Gazastreifen geprobt worden sein. Die Hamas hat sich mit dem Iran abgestimmt und mit der Hisbollah im Libanon. Der Iran steht hinter der Hamas und ist der entscheidende Faktor. Die große Frage ist, ob er direkt in die Konfrontation einsteigt.
Es kann sein, dass der Iran Israel den Krieg erklärt?
Ich würde das in dieser dynamischen Situation nicht ausschließen. Zunächst muss man auf die Hisbollah schauen, weil sie näher dran ist. Was die militärischen Fähigkeiten des Iran betrifft und angesichts der globalen Lage mit Ukraine-Krieg, gibt es aber durchaus Befürchtungen, dass der Iran, der innenpolitisch enorm unter Druck steht, dieses Momentum nutzen könnte für die Erreichung seiner Machtinteressen.
Das stellt auch die USA vor neue Herausforderungen.
Die USA haben sehr deutlich klargemacht, dass sie Israel unterstützen werden. Das wiederum trägt weiter zu einer globalen Blockbildung bei: auf der einen Seite Israel, die USA und sicherlich auch die Nato und die EU – auf der anderen Seite die Palästinenser, die auf den Iran schauen, auf Russland und auch auf die Haltung Chinas.
Das klingt nach einem langfristigen Konflikt …
Ich bin angesichts der Vorgeschichte des Konflikts und der Tatsache, dass sich gerade sehr viel Bahn bricht, pessimistisch, dass sich das in einigen Tagen beruhigen wird.
Ist auch mit Anschlägen bei uns zu rechnen?
Das ist sehr spekulativ. Die Hamas hat immer betont, keine Anschläge außerhalb Israels und Palästinas auszuführen. Sie hat aber auch immer betont, dass sie nie ausländische Bürger angreifen würde. Unter den Opfern sind aber auch viele Internationale. Deswegen würde ich auf die Versprechen der Hamas nicht so viel geben.
Die Hamas hat Israel regelrecht überrumpelt. Was bedeutet das für Ministerpräsident Netanjahu?
Die Aufarbeitung in der israelischen Politik wird sehr viel Zeit brauchen. Sobald die Eskalation im Griff ist, wird es viele Fragen geben an Netanjahu – aber auch an den Geheimdienst, der den Angriff nicht hat kommen sehen. Die Frage wird sein, ob sich die aktuelle Regierung im Amt halten kann. Ich bezweifle das.
Interview: Wolfgang Hauskrecht