Berlin – Der Durchbruch gelang laut Angela Merkel am 7. März 2016 in den frühen Morgenstunden in Brüssel. Man sei mit der Türkei in wichtigen Punkten weitergekommen, sagte die damalige CDU-Kanzlerin. Der Grundstein für ein Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei war gelegt.
Elf Tage später war der Deal offiziell. Ende April wurden Merkel und damalige EU-Ratspräsident Donald Tusk in einem EU-Flüchtlingslager in der Südtürkei feierlich mit Blumen empfangen. Der Druck auf die EU, auf Merkel, auf ihre Flüchtlingspolitik war hoch. So hoch, dass Brüssel Ankara sechs Milliarden Euro verspricht. Die Gegenleistung: Die Türkei soll gegen irreguläre Migration vorgehen und die EU darf illegale Flüchtlinge, die über die Türkei nach Griechenland kommen, zurückschicken.
Ein Deal mit Nebenwirkungen. Seit 2020 will die Türkei keine Geflüchteten zurücknehmen – offiziell eine Regelung aus Zeiten der Corona-Pandemie, inoffiziell ein gelegenes Druckmittel gegen die EU. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärte damals, man werde Flüchtlinge auf ihrem Weg in die EU nicht mehr aufhalten. „Migrationspolitisch haben wir uns in eine Abhängigkeit zu Erdogan manövriert, die wir so schnell nicht beenden werden können“, sagt Eren Güvercin, Mitglied der Deutschen Islam Konferenz, gegenüber unserer Zeitung.
Bei dem Treffen am Freitag mit Erdogan wird sich Kanzler Olaf Scholz (SPD) wohl auch für die Wiederbelebung des Deals einsetzen. Schließlich forcierten Bund und Länder das bereits beim Migrationsgipfel vergangene Woche.
Die Union hat da deutliche Ansprüche. „Es ist klar, dass der Bundeskanzler die Reaktivierung des Türkei-Abkommens mit Erdogan besprechen muss“, sagt CSU-Landesgruppen-Chef Alexander Dobrindt. Klar sei dabei, dass „wir auch unseren Teil der Vereinbarung, wie zum Beispiel die Visaerleichterungen, vor allem für Unternehmer vorantreiben“ müssen, sagt Serap Güler, Mitglied im CDU-Bundesvorstand, unserer Zeitung. Gleichzeitig dürfe nicht vergessen werden, dass die Türkei offiziell vier Millionen, inoffiziell wahrscheinlich mehr Flüchtlinge im Land habe. „Wenn wir nicht wollen, dass sich diese Menschen auf den Weg zu uns machen, müssen wir als EU die Türkei auch stärker finanziell bei der Bewältigung dieser Aufgabe unterstützen“, warnt Güler.
Doch wie hoch soll der Preis sein? So richtig aussprechen will das niemand. Es brauche eine „objektive Berechnungsgrundlage“, sagt Dobrindt. Er müsse sich im Rahmen der bisherigen Zahlungen bewegen, sagt Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD, der „Mediengruppe Bayern“. Und CSU-Chef Markus Söder warnt vor einem Türkei-Deal „um jeden Preis“. Er verlangt ein „klares Bekenntnis zu den Positionen, die für uns wichtig sind“.
Für den Islamexperten Güvercin ist klar, Deutschland und die EU dürfen sich „vom Autokraten Erdogan nicht erpressen lassen, denn er ist aufgrund der Wirtschaftskrise in seinem Land genau so abhängig von Europa“. Kompromisse ja, aber man dürfe nicht die gleichen Fehler wie beim russischen Präsidenten Wladimir Putin machen.