München – Die Debatte rund ums Bürgergeld war schon hitzig, bevor es eingeführt wurde. Vor einem Jahr noch blockierte die Union die Sozialreform der Ampel, weil sie aus ihrer Sicht die Motivation zum Arbeiten senkt. Am Ende setzte sich der Hartz-IV-Nachfolger zwar durch: Rund fünf Millionen Menschen in Deutschland erhalten seit Anfang des Jahres Bürgergeld. Doch der Ärger um das Thema ist nach wie vor groß – denn offenbar hat sich Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) mit den Kosten für das Bürgergeld kräftig verschätzt.
Die Sozialleistung kostet den Steuerzahler allein dieses Jahr zusätzliche 3,25 Milliarden Euro. Ursprünglich war die Ampel von 23,76 Milliarden Euro Ausgaben im Jahr 2023 ausgegangen. Doch das Leben wird teurer, allein für Miete und Heizung werden zusätzliche 1,12 Milliarden benötigt. Zudem ist die wirtschaftliche Lage angespannt. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) schätzt, dass die Arbeitslosigkeit von 2023 auf 2024 um 2,1 Prozent auf 2,66 Millionen Menschen anwachsen wird. Und beim Ukraine-Krieg ist noch immer kein Ende in Sicht – rund 700 000 geflüchtete Ukrainer beziehen in Deutschland Bürgergeld.
Trotz der Mehrkosten wird das Bürgergeld ab 2024 um zwölf Prozent steigen. Für Alleinstehende gibt es dann 563 Euro. Aktuell liegt der Satz bei 502 Euro im Monat – das sind 53 Euro mehr als zu Hartz-IV-Zeiten. Die Steigerungen sorgen bei vielen für Unmut – denn Lohn- und Rentenerhöhungen können da kaum Schritt halten.
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann fordert nun eine Arbeitspflicht für Bürgergeld-Bezieher. Nach spätestens sechs Monaten sollen arbeitsfähige Empfänger einen Job annehmen müssen. „Wer nicht arbeiten will, muss das nicht tun – er kann dann aber auch nicht erwarten, dass die Allgemeinheit für seinen Lebensunterhalt aufkommt“, sagt er. Arbeitsminister Heil warnt Arbeitnehmer sogar, ihren Job für das Bürgergeld zu kündigen. Jemand, der „so bescheuert“ sei, bekomme erst mal nichts – bis auf eine Sperre beim Arbeitslosengeld.
Auch Wirtschaftswissenschaftler Christian Merkl weist darauf hin, dass das Bürgergeld kein bedingungsloses Grundeinkommen ist. „Es gibt einem nicht das Recht, nicht mehr zu arbeiten“, sagt er gegenüber unserer Zeitung. Das würden viele missverstehen. „Wer arbeiten kann, ist auch weiterhin zur Job-Suche verpflichtet – ansonsten drohen Sanktionen.“
Das IAB, an dem Merkl forscht, beobachte allerdings nicht, dass sich Bürgergeld-Empfänger „auf die faule Haut legen“. Vertreter aus der Reinigungsbranche hatten kürzlich beklagt, dass immer mehr Beschäftigte wegen des Bürgergelds kündigen würden. „Tatsächlich gibt es keinen Anstieg der Übergänge von Beschäftigung in das Bürgergeld in dieser Branche“, sagt Merkl. Generell sei die Zahl der Beschäftigten seit der Einführung des Bürgergelds nicht gesunken.
Von den fünf Millionen Menschen, die in Deutschland Bürgergeld beziehen, sind laut der Bundesagentur für Arbeit knapp vier Millionen „erwerbsfähig“. Heißt: über 15 und noch nicht im Rentenalter. Davon sind allerdings nur 42 Prozent, also knapp 1,7 Millionen Menschen, auch tatsächlich arbeitslos. Der Rest betreut zum Beispiel Angehörige oder Kinder (7 Prozent), geht zur Schule oder studiert (11 Prozent), ist arbeitsunfähig (7 Prozent) oder in einer Weiterbildung (14 Prozent).
Einen großen Teil macht vor allem die Gruppe der Aufstocker aus: Jeder fünfte Bezieher geht arbeiten und ergänzt sein geringes Gehalt mit dem Bürgergeld. Laut Merkl springen dabei am Ende des Monats „je nach individueller Situation durchaus mehrere hundert Euro“ rum. „Arbeiten lohnt sich auch trotz Bürgergeld noch“, erklärt er. Das gewerkschaftsnahe Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) hat ebenfalls berechnet, dass Beschäftigten im Schnitt deutlich mehr Geld zur Verfügung steht als reinen Bürgergeld-Empfängern – auch nach der Erhöhung im kommenden Jahr. Demnach sind es bei Alleinstehenden, die in Vollzeit zum Mindestlohn arbeiten, 532 Euro mehr. Bei Familien mit drei Kindern und Mindestlohneinkommen sind es zwischen 429 und 771 Euro mehr.