München – Am 13. Dezember steht Cem Özdemir in der Fragestunde des Bundestags. Was es denn mit den Kürzungen bei den Landwirten auf sich habe, wird der zuständige Minister von der Opposition gefragt. Am Morgen waren erste Details an die Öffentlichkeit gedrungen. Der Minister tut so, als kenne er diese Bundesregierung nur aus weiter Ferne. Er habe ja schon immer gesagt, dass Agrardiesel-Beihilfe und Kfz-Steuerbefreiung für die Land- und Forstwirtschaft dringend notwendig sei, beteuert Özdemir. „Wenn beides zusammen wegfällt, dann kriegen wir ein Problem.“ Er sei jetzt „sehr gespannt“ auf die Vorschläge aus dem Bundesfinanzministerium. Und als seine Redezeit endet, schiebt er noch hektisch hinterher: „Das Thema Agrardiesel habe ich nicht verhandelt!“
Der Agrarminister und die Agrarpolitik – in diesen Tagen scheint das nicht immer Hand in Hand zu gehen. Özdemir hatte sich nicht um dieses Amt gerissen, sondern eher auf das Außenministerium geschielt. Die Bauern waren dem 58-Jährigen aus dem ländlichen Bad Urach zwar keineswegs fremd, aber politisch hatte er das Thema nur am Rande gestreift. Sein erstes Amtsjahr verlief entsprechend. Geräuschlos – was angesichts der Reputation der Ampel sogar positiv war. Jetzt aber rückt er unverhofft ins Rampenlicht.
In der Grünen-Fraktion heißt es, der Minister sei über die Sparpläne aufgebracht gewesen. Der engste Kreis – Kanzler Olaf Scholz, Finanzminister Christian Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck – hätte die Kürzungen beschlossen, ohne den Fachminister einzubinden. Treibende Kraft sei der Bundeskanzler gewesen. Özdemir machte aus seinem Ärger kein Geheimnis.
Nur fünf Tage nach der Regierungsbefragung stehen kurz vor Weihnachten erstmals hunderte aufgebrachte Landwirte am Brandenburger Tor. Auch Özdemir ist da. „Ich mache mir keinen schlanken Fuß“, ruft er den wütenden Bauern zu. Ein wenig steht er aber wie ein begossener Pudel neben Bauernpräsident Rukwied, der die geplanten Streichungen als Kampfansage an die Bauern geißelt. „Ich weiß, dass Sie von Anfang an vor solchen Streichungen gewarnt haben“, gesteht Rukwied dem Minister zu. Doch das reiche nicht. Rukwied packt Özdemir bei der Ehre: „Im Notfall erwarten wir auch, dass Sie Ihr Amt zur Verfügung stellen.“
Inzwischen hat die Regierung zumindest einen Teil der Kürzungen zurückgenommen. Die Grünen sehen das als ihr Verdienst. Auch der Minister. Das Thema treibt ihn um, auch mit Blick auf die eigene Lebensplanung. Viele in der Partei gehen davon aus, dass der schwäbische Deutsch-Türke spätestens 2026 versuchen wird, in Baden-Württemberg die Nachfolge des auch bei Konservativen beliebten Winfried Kretschmann anzustreben. Und im Ländle gibt es natürlich viele bäuerlich geprägte Gebiete, wo man seine aktuelle Amtsführung genau verfolgt. Ihnen will er zeigen, dass er für sie kämpft. „Ich finde sogar, er ist jetzt endgültig im Amt angekommen“, sagt der Münchner Grünen-Abgeordnete Dieter Janecek, der Özdemir seit Langem kennt.
Die Bauern sehen es anders. Auch nach zwei Jahren im Amt fremdle Özdemir noch, sagt der bayerische Bauernpräsident Günther Felßner, zugleich Vizepräsident auf Bundesebene. „Er versteht manchmal nicht, wie die Branche tickt.“ Menschlich sei der Austausch zwar außerordentlich angenehm, zu oft aber habe der Minister keine Zeit – vor allem für Landwirte, die nicht politisch mit ihm an einem Strang ziehen. „Manchmal habe ich das Gefühl, dass immer noch Renate Künast Agrarministerin ist“, sagt Felßner. Künast ist bis heute das personifizierte Schreckgespenst für die Landwirte. Felßner: „Cem Özdemir kann kein eigenes Profil aufbauen. Es wirkt, als benutze er Künasts alte Sprechzettel.“