Erfolgreiches Team: Marine Le Pen mit dem Spitzenkandidaten zur Europawahl Jordan Bardella. Wird er der nächste Premierminister? © Thomas Padilla / dpa
Paris – Frankreich wechselt nach der Auflösung der Nationalversammlung nach der Niederlage von Präsident Emmanuel Macron bei der Europawahl unvermittelt in den Wahlkampfmodus. Bereits am Montag liefen bei etlichen Parteien strategische Überlegungen zum Antreten bei der Parlamentswahl, die Macron in zwei Wahlgängen kurzfristig am 30. Juni und 7. Juli angesetzt hat. Es bleibt nicht viel Zeit.
Macron wolle zeigen, dass er „die Dinge im Griff hat“, schreibt die Zeitung „Le Monde“. Er dürfte darauf hoffen, dass bei der Parlamentswahl, die in zwei Runden stattfindet, der alte Abwehrreflex gegen das rechtsnationale Rassemblement National (RN) noch funktioniert. Vermutlich hat er auch das Beispiel Spaniens vor Augen, wo Regierungschef Pedro Sánchez 2023 das Überleben seiner linken Regierung durch Neuwahlen gesichert hatte.
Doch das Risiko für Macron ist extrem hoch, darin sind sich viele Experten einig. „Es gibt ein düsteres Szenario: Der RN könnte sich diesen Sommer des Amtes des Premierministers bemächtigen und 2027 den Élysée erobern“, resümiert „Le Monde“. Die Strategie von RN-Galionsfigur Marine Le Pen, die Partei vom äußersten rechten Rand wegzurücken und ihr ein seriöseres und regierungswilliges Image zu verpassen, hat Früchte getragen. Teil dieser Strategie war auch der Bruch mit der in Teilen klar als rechtsextrem eingestuften AfD in Deutschland, den der RN kürzlich im Europaparlament vollzog.
Le Pens Kronprinz, der erst 28 Jahre alte Jordan Bardella, hat sich im Wahlkampf bestens geschlagen. Er ließ sich von jungen Wählern wie ein Star feiern, lächelte in Debatten inhaltliche Schwächen und Widersprüche seiner Partei gelassen weg. Bardella hat eine Blitzkarriere hinter sich. Der Sohn einer Familie mit italienischen Wurzeln wuchs in bescheidenen Verhältnissen in einer Pariser Vorstadt auf. Als 17-Jähriger trat er in Le Pens Partei ein, weil er von der Parteichefin fasziniert war. Er arbeitete sich zügig nach oben und leitete bald die Jugendorganisation der Partei, die damals noch Front National hieß. Mit 23 trat Bardella zum ersten Mal als Spitzenkandidat bei der Europawahl an. Er verhalf seiner Partei 2019 bereits auf den ersten Platz, damals allerdings nur mit einem Punkt Vorsprung vor dem Regierungslager. Vor zwei Jahren setzte Bardella sich dann gegen Le Pens Ex-Partner Louis Alliot bei der Wahl zum Parteivorsitzenden durch.
Der redegewandte Jungpolitiker passt mit seinem geschliffenen Auftreten perfekt zu Le Pens Strategie, die von ihrem Vater gegründete Partei zu „entdämonisieren“. Bei einer Wiederholung des RN-Ergebnisses vom Sonntag könnte Bardella womöglich Regierungschef werden und so seiner Mentorin Marine Le Pen eine Steilvorlage für die Präsidentschaftswahl 2027 geben. Macron, der dann nicht mehr antreten kann, hat es bislang nicht zugelassen, dass einer seiner potenziellen Nachfolger aus seinem Schatten tritt.
Bei den bislang letzten Parlamentswahlen 2022 hatte Macrons Regierungslager seine absolute Mehrheit verloren. Dafür stieg die Zahl der RN-Abgeordneten von acht auf 89. Die neuen Abgeordneten bekamen von Le Pen Krawattenzwang und Wohlverhalten auferlegt: Pöbelnde Zwischenrufe und das offene Aussprechen extremer Ansichten waren nicht mehr willkommen. Die hohe Zahl der Abgeordneten trug auch dazu bei, dass der RN sich weiter lokal verwurzelte.
„Es wird viel davon abhängen, ob die Linke sich zusammenrauft, und ob sie ihre Wähler motivieren kann“, sagt Brice Teinturier vom Meinungsforschungsinstitut Ipsos mit Blick auf die bevorstehenden Wahlen. In der Vergangenheit bildeten Rechte und Linke in der zweiten Runde der Parlamentswahl häufig eine „republikanische Front“, um den Sieg eines RN-Kandidaten zu verhindern. Diese „Front“ ist mit dem zunehmenden Erfolg des RN jedoch gebröckelt.
Macron war 2017 mit dem Versprechen angetreten, den Wählern die Gründe dafür zu nehmen, dass sie Rechtspopulisten wählen. Sieben Jahre später fahren diese jedoch das beste Ergebnis in ihrer Geschichte ein. „Ich kann nicht so tun, als sei nichts geschehen“, sagte Macron am Wahlabend ungewohnt kleinlaut.
DPA/AFP