Zehn Prozent der Bienenarten sind vom Aussterben bedroht. © von Erichsen/dpa
Berlin/München – Mehr Bäume, mehr wiederhergestellte Moore und Flüsse: Europas Umweltminister haben gestern in Luxemburg das heftig umstrittene Renaturierungsgesetz beschlossen. Während Naturschützer, Umweltverbände und zahlreiche Wissenschaftler jubeln, sind die Christdemokraten und vor allem die Bauernverbände empört. Der Deutsche Bauernverband (DBV) kündigte postwendend heftige Widerstände an – die Landwirte befürchten eine unverhältnismäßige Belastung. „Mit dieser Entscheidung ignorieren die Umweltminister das Ergebnis der Europawahl“, schimpft Bauernpräsident Joachim Rukwied. „Man kann uns Bauern nicht par ordre du mufti vorschreiben, wie wir zu wirtschaften haben. Wer glaubt, mit Ordnungsrecht der Natur zu helfen, erreicht das Gegenteil.“
20 der 27 EU-Staaten – darunter auch Deutschland und Frankreich – hatten für das Gesetz gestimmt, sechs sprachen sich dagegen aus, Belgien enthielt sich. Doch was steht in diesem Papier, das nur mit hauchdünner Mehrheit verabschiedet wurde, weil sich die österreichische Umweltministerin Leonore Gewessler über die verordnete Ablehnung ihres konservativen Bundeskanzlers Karl Nehammer (ÖVP) hinweggesetzt hatte (siehe oben)?
Über 80 Prozent der geschützten Lebensräume in Europa sind nach Angaben der EU in einem schlechten Zustand. Die Kommission macht dafür den Klimawandel und die konventionelle Landwirtschaft verantwortlich – hier vor allem übermäßigen Einsatz von Düngemitteln und Chemikalien. Besonders belastet seien die Meere.
Mit dem Renaturierungsgesetz werden die EU-Staaten verpflichtet, bis 2030 mindestens 20 Prozent der Flächen und Meeresgebiete zu renaturieren. Bis 2050 sollen sogar alle „sanierungsbedürftigen Ökosysteme“ erfasst sein. Das Gesetz betrifft aber nicht nur Naturschutzgebiete, sondern auch bewirtschaftete Flächen wie Äcker, Felder, Wälder und die städtischen Gebiete.
Das Insektensterben soll gestoppt werden, die Population der Bienen sich erholen. In Städten sollen keine Grünflächen mehr verloren gehen, entwässerte Moore wieder vernässt werden. Außerdem sollen auch Flüsse wieder frei fließen und Totholz aus Wäldern nicht mehr entfernt werden. Anhand von drei Indikatoren will die EU prüfen, ob sich der Zustand der Natur in der Landwirtschaft bessert: der Entwicklung der Insektenpopulation, dem Ausmaß an Blühstreifen und Hecken sowie der CO2-Speicherfähigkeit der Böden.
Landwirte müssten folglich den Einsatz von Pestiziden deutlich herunterfahren. Die Bauern befürchten einen riesigen bürokratischen Aufwand, aber auch den Verlust von Flächen, weil sich der Anbau nicht mehr lohnen könnte. „Naturschutz geht nur gemeinsam mit den Bauern. Wir alle leben in einer Kulturlandschaft, die sich dynamisch entwickelt hat und weiterentwickeln wird“, betont Rukwied.
Beifall bekommt die widerspenstige österreichische Ministerin von Richard Mergner, Vorsitzender des Bund Naturschutz in Bayern. „Endlich hat das Trauerspiel ein Ende dank der mutigen österreichischen Umwelt- und Klimaschutzministerin Gewessler“, schreibt er auf X. Das Gesetz sichere Freiheit, Wohlstand, Artenvielfalt und Hochwasservorsorge. Der Deutsche Naturschutzring spricht gar von einem wichtigen Signal an die ganze Welt. Das Gesetz war vor zwei Jahren von der EU-Kommission vorgeschlagen worden und löste große Proteste aus. Verhandlungen führten zu deutlichen Abschwächungen.
CM/AFP