Regierungskrise in Österreich

von Redaktion

Ja! Nein! Was nun? Österreichs Umweltministerin Leonore Gewessler hat mit ihrer weisungswidrigen Zustimmung zu einem EU-Umweltgesetz für einen Riesenkrach in Wien gesorgt. © JOHN THYS / AFP

Wien/München – Die Ministerin zelebrierte den Eklat als Triumph. „Ein Sieg für die Natur“ sei diese Abstimmung, verbreitete Leonore Gewessler. „So dürfen wir nicht weitermachen. Unsere Natur hat sich unseren Schutz verdient.“ Mit der Stimme von Österreichs grüner Umweltministerin hatten die EU-Staaten zuvor das umstrittene EU-Renaturierungsgesetz beschlossen, und zwar hauchdünn: Nur dank ihres Votums kam das nötige Quorum von 65 Prozent der EU-Bevölkerung zusammen. Jetzt hat die Regierung ein dickes Problem: Denn Gewessler stimmte ausdrücklich gegen den Befehl ihres Bundeskanzlers ab.

Jetzt schaut Europa verdutzt auf Wien. Bundeskanzler Karl Nehammer und seine konservative ÖVP sind gegen diese Richtlinie, ebenso die Mehrheit der Bundesländer. Normalerweise gilt der Grundsatz, dass sich eine nationale Regierung dann in Brüssel (in diesem Fall in Luxemburg) enthalten muss. Gewessler (46), früher Umweltaktivistin, drohte seit Tagen, sich nicht daran zu halten. Nehammer schrieb sogar in letzter Minute an Brüssel, dass seine Ministerin dort keine Prokura habe: „She is not entitled“, warnte er auf Englisch.

Nun geht die Eskalation weiter. Die ÖVP ließ mitteilen: „Die Volkspartei bringt eine Strafanzeige wegen Amtsmissbrauchs gegen Umweltministerin Gewessler ein.“ Sie habe wissentlich gegen die Verfassung gehandelt. Die ÖVP stellt Gewessler sogar auf eine Stufe mit der rechtspopulistischen FPÖ, denn sie stelle „Ideologie über das Gesetz“. Zudem kündigt Nehammer eine Nichtigkeitsklage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) an.

Wir gegen uns – kann es kräftiger knallen in einer Koalition? In österreichischen Medien wird offen über einen Bruch der Regierung spekuliert. „Diese Wunde kann nicht mehr heilen“, kommentiert der „Standard“. Jetzt sei „die ganze Bandbreite drin bis hin zu einem Koalitionsbruch“, analysiert der ORF. Problem dabei: In Umfragen ist die FPÖ stärkste Kraft, knapp unter 30 Prozent; ÖVP und Grüne (nach Parteifarben heißt das Bündnis „türkis-grün“) kommen zusammen auf nicht mal ein Drittel der Gesamtstimmen. Regulärer Wahltermin ist bereits am 29. September.

Nehammer verzichtete gestern Abend zunächst darauf, die Koalition aufzukündigen, garnierte das aber mit kräftigen Worten. „Wir sind alle Zeugen geworden, dass eine Ministerin Rechtsbruch begangen hat“, sagte er, spürbar verärgert und kräftig schnaufend, bei einem Auftritt in Brüssel. Gewessler habe einen „mehr als schweren Vertrauensbruch“ begangen. „Wenn Sie mich nach meiner Emotion fragen: Ja, es ist Zeit, es hat so keinen Sinn.“ Seine Verantwortung als Kanzler sage ihm aber, man bringe die Regierung geordnet bis Ende September zu Ende.

Nehammer ließ durchblicken, mit dem Bundespräsidenten schon am Sonntag über die Entlassung Gewesslers gesprochen zu haben. Er kündigte aber nicht an, das zu tun.

Der grüne Vize-Kanzler Werner Kogler stellte sich demonstrativ hinter seine Parteifreundin. „Zukunft wird aus Mut gemacht“, sagte er in einem Solidaritäts-Video. „Großer, großer Dank an sie und das grüne Team.“ Den rechtlichen Schritten sehe er „gelassen entgegen“.

Auch Gewessler ist davon überzeugt, dass ihre Zustimmung juristisch abgesichert ist. Aus Brüssel heißt es ebenso lapidar: „Wer da ist, stimmt ab.“ Der österreichische Verfassungs-Experte Walter Obwexer sagte dem ORF, man sei hier auf „juristischem Neuland“. Und das noch länger, denn bis Nehammers Nichtigkeitsklage entschieden ist, dürften anderthalb Jahre vergehen, glaubt der Rechtswissenschaftler der Uni Innsbruck.

Unabhängig davon, ob sie rechtlich falsch handelte – es gibt auch einen Ansatz, der ihr Verhalten politisch rechtfertigt. Die beiden Koalitionspartner fanden eigentlich nur unter der ungewöhnlichen Prämisse zusammen, sich notfalls gegenseitig in Kernfeldern gewähren zu lassen. Im Bereich Migration zum Beispiel dürfen ÖVP und Grüne in einem genau geregelten Verfahren unterschiedlich abstimmen. Warum also nicht auch beim „grünen“ Thema Natur?

Die Opposition in Österreich spottet erwartungsgemäß über die Koalition. Eine „besorgniserregende Regierungskrise“ und eine „bittere Stunde“ für Österreichs Reputation sieht SPÖ-Chef Andreas Babler; ähnlich urteilen die Neos. FPÖ-Chef Herbert Kickl forderte, die Koalition sofort zu beenden.

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