Beiname: „Schlächter von Chan Junis“: Hamas-Chef Jihia al-Sinwar gilt als gnadenlos. Hier ist er mit dem Kind eines getöteten Islamisten zu sehen. © Mahmud Hams/AFP
Tel Aviv/Gaza – Der Anführer der islamistischen Hamas im Gazastreifen, Jihia al-Sinwar, ist nach Angaben der israelischen Regierung tot. „Der Massenmörder Jihia al-Sinwar, der für das Massaker und die Gräueltaten des 7. Oktober verantwortlich ist, ist von israelischen Soldaten getötet worden“, erklärte Außenminister Israel Katz nach Angaben seines Sprechers. Auch die Streitkräfte bestätigten den Tod Sinwars am Mittwoch im südlichen Gazastreifen. Die Hamas äußerte sich zunächst nicht.
Der drahtige, bärtige Mann galt als Planer und Drahtzieher des brutalen Überfalls auf Israel im Oktober 2023. Terroristen der Hamas und anderer Organisationen im Gazastreifen hatten dabei rund 1200 Menschen getötet und weitere 250 in den Gazastreifen verschleppt. Der Gaza-Krieg war die Folge.
„Dies ist eine große militärische und moralische Errungenschaft für Israel und ein Sieg für die ganze freie Welt gegenüber der Achse des Bösen des radikalen Islam, die vom Iran angeführt wird“, sagte Katz weiter. Die Tötung Sinwars schaffe die Möglichkeit, die Geiseln sofort zu befreien und im Gazastreifen „eine neue Realität“ ohne Hamas zu schaffen. US-Präsident Joe Biden sprach von einem „guten Tag für die Welt“ und betonte, er sehe nun die Gelegenheit für die Beendigung des Krieges. Israels Premier Benjamin Netanjahu sieht das anders. Sinwars Tod sei zwar ein „wichtiger Meilenstein“ beim Niedergang der Hamas. Der Krieg gegen sie sei aber „noch nicht beendet“.
Sinwar stand seit Beginn des Gaza-Kriegs ganz oben auf Israels Abschussliste. Seine Tötung war wohl einem eher zufälligen Zusammenstoß mit israelischen Soldaten geschuldet. Medien zufolge waren die Einsatzkräfte in der Stadt Rafah unterwegs, als es zur Konfrontation mit Sinwar und zwei weiteren bewaffneten Palästinensern kam. Erst nach seiner Tötung sei den Soldaten die Ähnlichkeit mit dem Hamas-Chef aufgefallen. Die Palästinenser hätten große Mengen an Bargeld und gefälschte Pässe bei sich gehabt. Sinwar habe eine Weste mit Handgranaten getragen.
Nun stellt sich die Frage, ob die Hamas mit seinem Tod besiegt ist. Beobachter halten das nicht für wahrscheinlich. Sinwars Bruder Mohammed spielt eine wichtige Rolle in der Militärstruktur der Hamas. Er könnte in die Fußstapfen seines Bruders treten. Hinzu kommt, dass die Hamas unter dem Druck der mächtigen israelischen Invasion nicht mehr in klassische militärischen Formationen kämpft, sondern als Guerilla-Streitkraft, die in kleinen Zellen und dezentral operiert. Ein Kollaps der Organisation, die bis zum Kriegsausbruch den Gazastreifen mit eiserner Hand regiert hatte, würde nicht unbedingt klare Verhältnisse schaffen. Da Israel keine militärische Verwaltung des Küstengebiets anstrebt und auch sonst keine konkreten Vorstellungen für ein Gaza ohne Hamas zu haben scheint, droht ein Machtvakuum.
Der 61-jährige Sinwar gehörte zur Gründergeneration der Hamas, die sich Ende der 1980er Jahre im Kampf gegen die israelische Besatzung formierte. Nach Beginn des Friedensprozesses zwischen Israel und der Palästinenserorganisation PLO verübte die Hamas über Jahre blutige Selbstmordanschläge in Israel, um diesen zu torpedieren. Seit 2017 war Sinwar Hamas-Chef im Gazastreifen und hatte immer wieder versucht, die 2006 von Israel verschärfte Blockade des Gazastreifens zu beenden, die über die Jahre auch von Ägypten mitgetragen wurde. Dabei setzte er unter anderem auf gewaltsame Proteste am Trennzaun.
Geboren wurde er 1962 im Flüchtlingslager von Chan Junis im Süden des Gazastreifens. Sinwar war 1988 wegen Mordes an vier mutmaßlichen Kollaborateuren und zwei israelischen Soldaten von Israel verurteilt worden. Wegen seiner Grausamkeit war er als „Schlächter von Chan Junis“ bekannt.
DPA