Steinmeier mit Außenministerin Annalena Baerbock. © dpa
Berlin/München – Sie sind entlassen! Bitte weiterarbeiten! Für Kanzler Olaf Scholz und alle seine Minister hat gestern Abend eine ungewöhnliche Lebensphase begonnen. Mit der Konstituierung des Bundestags und der Entlassungsurkunde für den Regierungschef ist die ganze Riege eigentlich nicht mehr im Dienst, muss aber weitermachen. Der Rahmen im Schloss Bellevue, wo der fließende Übergang vom Bundeskabinett zur geschäftsführenden Regierung erfolgt, ist förmlich, doch am Ende wird es beinahe locker. Da raunt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dem scheidenden/geschäftsführenden Kanzler ein „Danke, Olaf!“ zu.
Von Abschiedswehmut ist da noch nichts zu spüren, mancher Minister macht einen regelrecht befreiten Eindruck. Einen „immensen Kraftakt“ hatte Steinmeier ihnen allen zuvor bescheinigt. Jörg Kukies, zuletzt Leiter des Finanzressorts, reiht sich bei der anschließenden Verabschiedung verkehrt ein und erhält die Urkunde von Arbeitsminister Hubertus Heil. Hinter den Kulissen wird später getauscht, und dann geht es auch schon weiter. Nur die FDP-Minister wie Christian Lindner trifft das nicht, die sind schon vor vier Monaten aus den Ämtern geschieden.
Die Pflicht zum Weiterregieren für alle anderen steckt im Grundgesetz, Artikel 69: Der Bundespräsident kann den Kanzler (und der Kanzler seine Minister) zwingen, die Geschäfte „bis zur Ernennung seines Nachfolgers weiterzuführen“. Sie haben dann weiterhin die volle Amtsgewalt, nur eben keine Mehrheit mehr im Bundestag – aber das hat die Ampel seit Ende 2024 eh nicht mehr. Die Nachspielzeit ist auch eher Regel als Ausnahme: Die Regierungsbildung dauert fast immer länger als die reguläre Amtszeit der alten Regenten. Nach der Wahl 2017 machte die Merkel-Regierung fast fünf Monate geschäftsführend weiter. Für manche Minister gab es sogar Extra-Aufgaben: Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) musste nebenher noch das Finanzressort leiten, weil Wolfgang Schäuble Bundestagspräsident wurde und kein Minister neu bestellt werden darf. Beamte des Finanzministeriums staunten damals, wie ungewohnt es für sie sei, einen gut gelaunten Minister zu haben.
Nach der Wahl 2021 waren es nur anderthalb Monate – da mussten auch Unions-Minister brav weiterregieren, ehe sie der ungeliebten Ampel die Hausschlüssel weiterreichten. Unter ihnen Horst Seehofer, der Bundesinnenminister. Er erinnert sich heute noch an diese Zeit. „Nach 56 Berufsjahren, davon 41 Jahre als Berufspolitiker, war meine Sehnsucht nach einem anderen Leben übergroß“, erzählt der frühere CSU-Chef unserer Zeitung. „Aber die Wartezeit bis zur endgültigen Amtsübernahme hat überhaupt nicht weh getan.“
M. BEYER/C. DEUTSCHLÄNDER