KOMMENTARE

Berlins neuer Klima-Pragmatismus

von Redaktion

Merz in Brasilien

Vom Stahlgipfel in Berlin hastete der Kanzler direkt weiter zum Weltklimagipfel ins Amazonasgebiet. Um Krisenabwehr ging es hier wie dort – und um Klimaschutz: Zu viel davon gefährdet die heimische Wirtschaft und zigtausende Jobs; zu wenig die Lebensgrundlagen auf der Erde. Ein Klimakanzler nach Gusto der Grünen will Friedrich Merz nicht sein. Aber auch kein Trump, der als quasi erste Amtshandlung zum zweiten Mal das Pariser Abkommen verließ. Denn Klimaschutz ist in Deutschland über die Parteigrenzen hinweg Staatsräson, sieht man mal von der AfD ab.

Deshalb war Merz die weite Reise nach Südamerika für eine Rede von nur wenigen Minuten wert. Ein Fernbleiben wäre weltweit als Zeichen gedeutet worden, dass nun auch die in tiefen Schwierigkeiten steckenden Europäer im Kampf gegen die Erderwärmung kapituliert haben. Umgekehrt ist es aber gut und richtig, dass mit der neuen Bundesregierung auch ein neuer klimapolitischer Pragmatismus Einzug gehalten hat in Deutschland: Energieministerin Katherina Reiche will die Subventionen für die zu teure Energiewende kürzen, in Brüssel setzt man sich für die Abkehr vom Verbrenner-Aus ein und auch beim jüngst gefundenen Klima-Kompromisspaket der EU war Berlin mehr Bremser als Antreiber. Grünen-Chef Felix Banaszak geißelt das als „Abwicklung der deutschen Klimapolitik“. Doch muss auch er zur Kenntnis nehmen: Habecks Klimaschutz mit der Brechstange wurde in Deutschland abgewählt. Und in Brüssel hat man nach dem „Green Deal“ schmerzhaft lernen müssen, dass die übrige Welt dem abschreckenden Vorbild der Europäer mit dem Niedergang der Industrie und dem Erstarken der Rechten nicht folgen will.

Besonders rigoros hat sich die einstige westliche Führungsmacht USA von den Dekarbonisierungszielen der vergangenen Jahrzehnte abgewandt. Von Trump war nichts anderes zu erwarten. Dass aber sogar einstige Klima-Untergangspropheten wie Microsoft-Gründer Bill Gates nach Trumps Rückkehr ins Weiße Haus plötzlich vor einer Übertreibung der Gefahren durch die Erderwärmung warnen, ist fast schon komisch. Im selbst ernannten Mutterland der Meinungsfreiheit ist eben jeder frei, der Meinung seines Präsidenten zu folgen. GEORG.ANASTASIADIS@OVB.NET

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