Rosenheim/Samerberg – Fünf Verhandlungstage, rund 20 Zeugenaussagen und Berge von Akten: In den vergangenen Wochen und Monaten hat das Rosenheimer Schöffengericht akribisch versucht, den Unfallhergang des tödlichen Frontalzusammenstoßes vom 20. November 2016 auf der Miesbacher Straße in Rosenheim zu rekonstruieren, bei dem zwei junge Frauen vom Samerberg ums Leben gekommen sind. Wer die Schuld an dem Drama trägt, wollen Richter Christian Merkel und die beiden Schöffen heute bekannt geben. Ein Überblick über den bisherigen Prozessverlauf:
Der Unfall
Sie waren vom Besuch einer Pizzeria auf dem Weg nach Hause, als Melanie Rüth (21), Ramona (15) und Magdalena Daxlberger (19), die gemeinsam im Nissan von Melanie saßen, auf der Miesbacher Straße der VW Golf des damals 23-jährigen Simon H. aus Ulm entgegenkam. Beim Zusammenstoß wurde die 21-jährige Fahrerin so schwer verletzt, dass sie noch an der Unfallstelle starb, Freundin Ramona nur wenig später in der Klinik.
Beifahrerin Magdalena Daxlberger, heute 21 Jahre alt, wurde mit schwersten Verletzungen in ein Münchner Krankenhaus geflogen und leidet nach zahlreichen Operationen noch heute massiv unter den Folgen des Unfalls. Ebenso wie der Golf-Fahrer sowie dessen damalige Beifahrerin, eine heute 41-jährige Slowenin.
Die Anklage
Schnell machte nach dem Unfall das Gerücht die Runde, der Unfallfahrer aus Ulm könnte sich mit zwei BMW-Fahrern, die Simon H. Sekunden vor dem Zusammenstoß überholt hatte, ein illegales Straßenrennen geliefert haben. Auch die Polizei ermittelte schließlich in diese Richtung.
Nachdem der VW-Fahrer im Herbst 2017 physisch und psychisch noch nicht verhandlungsfähig war, wurde zunächst gegen einen der BMW-Fahrer – gegen den heute 24-jährigen Daniel R. aus Kolbermoor – verhandelt, das Verfahren aber nach zwei Sitzungstagen ausgesetzt. Richter Christian Merkel war zu dem Schluss gekommen, dass eine Verhandlung ohne den Hauptangeklagten zu keinem Ergebnis führen wird. Seit Anfang April stehen nun beide Männer vor Gericht. Ihnen wird seitens der Staatsanwaltschaft fahrlässige Tötung vorgeworfen, die mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe geahndet werden kann.
Obwohl zunächst auch der Fahrer des zweiten BMW ins Licht der Ermittlungen gerückt war – aufgrund von Zeugenaussagen stand und steht der Vorwurf im Raum, dass der Ulmer am Wiedereinscheren gehindert worden ist – muss sich dieser, ein Freund von Daniel R., nicht vor Gericht verantworten. „Das ist eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft“, sagte Stefan Tillmann, Pressesprecher am Amtsgericht Rosenheim, verwies aber darauf, „dass das natürlich jederzeit geändert werden kann, wenn neue Erkenntnisse vorliegen“.
Die Angeklagten
Nur rund einen halben Meter trennen die Anklagebänke des Hauptangeklagten Simon H. und des weiteren Angeklagten Daniel R.. Doch im Verhalten während des Prozesses trennen die beiden jungen Männer Welten. Während der Ulmer Unfallfahrer, selbst zweifacher Vater, beim Verlesen der Verletzungen der beiden verstorbenen Mädchen immer wieder von Weinkrämpfen geschüttelt wird, sich über seinen Anwalt bei den Angehörigen entschuldigt und im Prozessverlauf sogar das persönliche Gespräch mit den Familien Rüth und Daxlberger sucht, verfolgt der 24-jährige Kolbermoorer die Verhandlungstage nahezu ohne Gefühlsregung. Er verweigert die Aussage, lässt seinen Anwalt Harald Baron von Koskull nur eine kurze Stellungnahme zum Unfallgeschehen verlesen. Das Wort ergreift er nur, als Franz Daxlberger, Vater der verunglückten Ramona, ihm das Foto seiner getöteten Tochter unter die Nase hält. „Das müssen sie jemand anderem zeigen“, so seine Reaktion.
Auch gegenüber der Polizei scheint sich Daniel R. unnahbar zu geben. Als er wenige Tage vor Prozessbeginn von der Polizei unter dem Verdacht der Teilnahme an einem Straßenrennen in Rosenheim aufgehalten wird, soll er für die Arbeit der Beamten wenig Verständnis aufgebracht haben.
Zudem berichtete ein als Zeuge geladener Polizist, der wenige Wochen nach dem tödlichen Unfall dem Kolbermoorer den Führerschein abnehmen sollte, dass sich R. damals alles andere als kooperativ verhalten habe. So habe er zunächst den Beamten gegenüber angegeben, dass er nicht wisse, wo seine Fahrerlaubnis ist. Erst nach- dem ihm die Polizisten mit einer Hausdurchsuchung gedroht hatten, zog er den Schein aus seinem Geldbeutel und händigte diesen den Beamten aus.
Den Schein hatte er zum Unfallzeitpunkt erst wenige Wochen wieder, nachdem er diesen aufgrund überhöhter Geschwindigkeit – die Polizei hatte ihn innerorts mit 41 km/h zu schnell erwischt – zeitweilig verloren hatte.
Ein recht eingängiges Bild, das Zeugen vom Angeklagten Daniel R. zeichnen, das sein Anwalt so aber nicht stehen lassen will. Auf Anfrage der OVB-Heimatzeitungen bestätigte er zwar den Vorwurf gegenüber seinem Mandanten, kurz vor Prozessbeginn ein Rennen durch Rosenheim gefahren zu haben, betonte aber: „Auch hier gilt natürlich die Unschuldsvermutung.“
Seit dem tödlichen Unfall habe die Polizei seinem Mandanten regelrecht „aufgelauert“ – ein Vorgehen, das Baron von Koskull unter anderem als „Polizeistalking“ und „Belastungseifer“ bezeichnete. Daher habe er Anfang 2017 Kontakt mit der Staatsanwaltschaft aufgenommen und sieben Fälle innerhalb eines Monats aufgelistet, in denen sein Mandant fragwürdigen Kontrollen unterzogen worden sei. Sogar dessen Eltern seien nach Angaben des Rechtsanwalts Ziel der Polizeikontrollen gewesen.
Die Zeugen
Rund 20 Zeugen hatten an den bisherigen Prozesstagen ausgesagt. Während die Beifahrerin des Ulmers sowie die beiden BMW-Beifahrer den Kolbermoorer Daniel R. entlasteten und übereinstimmend angaben, dass für Simon H. ausreichend Platz zum Wiedereinscheren bestanden hätte, belastete unter anderem die Schwester des Ulmers die BMW-Fahrer schwer. „Die Schweine haben mich nicht reingelassen“, habe Simon H. nur wenige Minuten nach dem Unfall in einem Telefongespräch geäußert. Aussagen, die sich mit Angaben eines Ersthelfers gegenüber dem zur Unfallstelle geeilten Staatsanwalt deckten.
Erhärtet wurde von Zeugen zudem der Verdacht, dass sich die drei Fahrzeuge – der rote VW Golf sowie die beiden dunklen BMW – bereits rund eine Stunde vor dem Unfall rennähnliche Situationen geliefert hatten. So sind mehreren Zeugen die drei Fahrzeuge auf der B15 zwischen Pfraundorf und Rosenheim aufgefallen. Angaben, die sowohl der Ulmer wie auch die BWM-Insassen bestreiten.
Unterschiedliche Schilderungen gibt es auch rund um die Situation nach dem Zusammenstoß. Während die BMW-Insassen angaben, zu den Unfallfahrzeugen geeilt zu sein, um zu helfen, widersprachen zwei Ersthelfer diesen Angaben vehement. Ein Polizist bestätigte jedoch, dass zumindest der Fahrer des hinteren BMW im Laufe der Rettungsarbeiten am Fahrzeug von Melanie Rüth geholfen habe.
Das Gutachten
Wertvolle Erkenntnisse hatten sich die Prozessbeteiligten seitens des Sachverständigen Andreas Thalhammer erhofft. Eine Hoffnung, die Thalhammer aber nicht erfüllen konnte. Zwar konnte er den Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge recht exakt rekonstruieren und beispielsweise die Kollisionsgeschwindigkeit angeben. Die Frage, ob die beiden BMW genügend Platz zum Einscheren gelassen hatten, konnte der Gutachter hingegen ebenso wenig beantworten wie die Frage, ob es Anzeichen für ein Rennen gegeben habe.
Klar sei laut Thalhammer, dass der Unfall verhindert hätte werden können – beispielsweise durch ein Bremsmanöver von Daniel R.. „Das setzt aber voraus, dass Simon H. die Chance, vor dem BMW einzuscheren, auch ergriffen hätte“, grenzte Thalhammer auch diese These wieder ein. Über seinen Anwalt hatte der Kolbermoorer verlauten lassen, dass er kurzzeitig darüber nachgedacht hatte, zu bremsen, sich dann aber dagegen entschieden habe, um dem Golf nicht den Weg abzuschneiden. Thalhammers Fazit: „Wenn wir zu einem Sachverhalt nicht ausreichend Spuren haben, sind wir im hypothetischen Bereich.“
Der Prozess wird heute mit den Plädoyers fortgesetzt. Auch ein Urteil wird erwartet.