Vom Bergbauernbuben zum Agro-Kritiker

von Redaktion

Interview Korrespondent Bartholomäus Grill über die Landarbeit damals und heute

Oberaudorf/Soyen – Seine Artikel und Bücher haben uns den schwarzen Kontinent jenseits der Klischees nähergebracht: Bartholomäus Grill arbeitete seit 1993 als Afrika-Korrespondent der Zeit und ab 2013 des Spiegel. Der 1954 in Oberaudorf am Inn geborene Autor lebt in Kapstadt – aber seine bayerischen Wurzeln spielen in seinem neuen Buch Bauernsterben eine wichtige Rolle.

Sie sind auf dem Bergbauernhof Ihrer Großeltern in Oberaudorf und dem väterlichen Hof groß geworden. Haben Sie schon als kleiner Bauern-Bub von Afrika geträumt?

Auf dem Bergbauernhof meiner Großeltern noch nicht. Ich war ja ein nichteheliches Kind, und erst als meine Eltern heirateten, kam ich mit sechs Jahren auf den Hof meines Vaters in Soyen bei Wasserburg. Dort fand ich auf dem Speicher die Hinterlassenschaften meines Opas, der ein Anhänger der Kolonialbewegung war, die von der Rückeroberung der deutschen Kolonien in Afrika träumte. Als Bub liebte ich all diese Bücher und Landkarten. Schon die Namen wie Timbuktu oder Kilimandscharo hatten für mich eine magische Ausstrahlung.

Wie war das Bauernleben damals?

Mein Großvater hat immer gesagt: Das, was du rausholst aus den Wäldern, Wiesen und Äckern, musst du wieder zurückgeben. Wenn du zehn Bäume fällst, musst du für die nächste Generation wieder entsprechend anpflanzen. Es war eine traditionelle Kreislaufwirtschaft.

Wann änderte sich diese Art des Bauernlebens?

An einem heißen Augusttag 1960 brachte mein Vater die Weizenernte zur Mühle, ich saß hinten auf dem Gummiwagen. Da sahen wir zum ersten Mal im Lagerhaus die prall gefüllten Plastiksäcke mit Kali, Ammoniak oder Superphosphat. Da begann das, was ich in meinem Buch die agrarindustrielle Erzeugerschlacht nenne.

Erzeugerschlacht, Agrarkrieger – gab es für diese Wortwahl schon Protest-Post vom Bauernverband?

Bisher noch nicht, aber das Buch ist ja noch ganz neu. Der Begriff Agrarkrieger kam mir beim Anblick einer Maisernte in der Nähe von Regensburg mit einem neuen John-Deere-Vollernter, ein tonnenschweres Gerät, der die Monokulturen abfräst.

Da standen mehrere Bauern in den grün-gelben Overalls von John Deere. Als ich mir die so anschaute, wie sie über ihren „Johnny“ fachsimpelten, dachte ich mir: Das sind doch keine Bauern mehr, das sind Agrarkrieger.

Das Hauptargument für die industrielle Landwirtschaft ist, dass die wachsende Weltbevölkerung anders nicht zu ernähren wäre. Was sagen Sie dazu?

Ich halte das für ein vorgeschobenes Argument. Die Zukunftsstiftung Landwirtschaft hat ausgerechnet, wir könnten weit über 13 Milliarden Menschen ernähren, wenn wir nicht mehr als die Hälfte der Agrarflächen für Energiepflanzen und industrielle Rohstoffe verwenden würden. Und für den Anbau von Futtermitteln, mit denen wir Unmengen von Fleisch produzieren. Hinzu kommt, dass pro Jahr nahezu eine Milliarde Tonnen Lebensmittel vernichtet werden – wenn man die gerecht auf der Welt verteilen würde, gäbe es keine Hungersnöte.

Das Thema Fleisch ist sensibel: Den Leberkäs und den Schweinsbraten wollen sich viele nicht nehmen lassen. Wie war das in Ihrer Kindheit in Bayern?

Der Schlachttag war ein großer Tag, da gab es das erste Stichfleisch vom Schwein. Aber wir hatten einmal, höchstens zweimal die Woche Fleisch. Ab den 1960er-Jahren wurde der tägliche Fleischkonsum zum Wohlstandsmerkmal.

Als Afrika-Korrespondent mussten Sie etliche Hungerkatastrophen miterleben. Hat unsere EU-Landwirtschaftspolitik eine Mitschuld daran?

Die afrikanischen Bauern sind einfach nicht konkurrenzfähig gegen die Billigexporte aus Europa, egal ob es um Geflügel, Käse oder Milchpulver geht. Ein konkretes Beispiel: Eine Hilfsorganisation unterstützt in Gambia Landfrauen beim Gemüseanbau für den Tourismus. Was übrig bleibt, verkaufen die Bäuerinnen auf den Märkten. Eine der Frauen hat mir auf einem Markt einen Stand gezeigt: Da waren Zwiebeln aus Holland, alle gleich groß, wie aus dem 3-D-Drucker, und spottbillig. Mit diesen von der EU subventionierten Zwiebeln konnten die afrikanischen Frauen mit ihrer Ware nicht im Mindesten konkurrieren. Weltweit bekommt die Agrar-Industrie weit über 500 Milliarden Dollar Zuschüsse pro Jahr. Das ist kein echter freier Markt, das raubt den afrikanischen Bauern die Existenzgrundlage.

Über diese Probleme wird ja schon fruchtlos lange diskutiert.

Weil die Europäische Union eigennützig handelt. Brüssels Handelspolitik konterkariert die eigenen entwicklungspolitischen Anstrengungen. Die EU fischt die Küsten leer mit ihren Flotten und wundert sich dann, wenn die afrikanischen Fischer keine Arbeit mehr haben und sich auf den Weg nach Europa machen. Diese Widersprüche müssten im Rahmen einer neuen EU-Afrika-Politik überwunden werden. Man schwadroniert zwar immer über die Partnerschaft auf Augenhöhe, aber wenn es drauf ankommt, ist Afrika dann doch nicht so wichtig.

Aber viele Bauern sehen sich doch als Naturschützer. Gibt es eine Rückbesinnung auf das Bauerntum wie in der Zeit Ihres Großvaters?

Allmählich ist schon ein Wandel erkennbar. Es gibt mittlerweile über 36000 Bio-Höfe in Deutschland, in Österreich werden 27 Prozent der Agrarflächen ökologisch bewirtschaftet. Aber andererseits ist die Agrar-Lobby immer noch unglaublich mächtig. Mir geht es nicht um Bauern-Bashing, die Kritik richtet sich gegen die Agro-Industrie, zum Beispiel gegen die Riesenfarmen, Mastfabriken und großen Chemie- und Saatgutkonzerne. Wachse oder weiche, heißt unverändert die Devise der Bauernverbände! Es gibt immer weniger Bauern, die in diesem Konkurrenzkampf überleben. Wir hatten Ende der 50er-Jahre über 1,3 Millionen landwirtschaftliche Betriebe in Westdeutschland. Heute, im vereinigten Deutschland, gibt es nur noch 256000.

Ein Zurück zur guten alten Bauernidylle erscheint unrealistisch. Aber wie sollte die Landwirtschaft sich entwickeln, damit unsere Umwelt nicht weiter zerstört wird und wir trotzdem alle satt werden?

Es ist gar nicht wünschenswert, dass wir die konventionelle Landwirtschaft ganz abschaffen, sonst hätte man tatsächlich ein Problem mit der Welternährung. Aber die biologische Landwirtschaft muss noch mehr gefördert werden. Gleichzeitig gibt es hoffnungsvolle Entwicklungen wie die mikrobielle Nahrungsmittelproduktion, bei der Proteine in Bio-Meilern hergestellt werden. Es gibt zahlreiche Alternativen. Und wir werden schon bald die Landwirtschaft 5.0 erleben: Dabei geht es darum, mit künstlicher Intelligenz die Agrarproduktion zu revolutionieren. Es gibt also nicht die eine Lösung für eine Agrarwende, sondern viele Wege, die zu einer nachhaltigen Landwirtschaft führen.

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.Bauernsterben“ ist im Siedler Verlag erschienen, 240 Seiten, 24 Euro.Interview: Klaus Rimpel

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