Suche nach Gen-Zwilling noch erfolglos

von Redaktion

Martin (4) aus Bruckmühl leidet an einem seltenen Gen-Defekt, durch den ihm sogar der Rollstuhl droht. Um Erfahrungen austauschen zu können, suchen dessen Eltern Manuela und Markus deutschlandweit nach einem genetischen Zwilling. Bislang erfolglos. Doch dafür machen andere Entwicklungen Hoffnung.

Bruckmühl – Wer Martin beim Spielen zusieht, der denkt zunächst, einen kerngesunden Buben vor sich zu haben. Konzentriert schaufelt der Vierjährige mit seiner kleinen Schaufel große Ladungen Erde auf einen Spielzeuglaster. Eine Aufgabe, an der der Bub sichtlich Freude hat. Als er nur wenige Minuten später seinem Papa Markus Reitberger entgegenläuft, fällt aber auf: Die Bewegungen sind eingeschränkt, der Vierjährige läuft „unrund“. Denn Martin leidet am seltenen Gendefekt Mikrodeletion 22q11.23. Ein Gendefekt, der den aufgeweckten Buben irgendwann in den Rollstuhl zwingen könnte.

Bub verliert das
Bewusstsein

Im Juli 2021 geboren, traten bei Martin im Alter von 15 Monaten erste gesundheitliche Probleme auf, die seine Eltern Manuela und Markus Reitberger in Alarmzustand versetzten. Im Oktober 2022 bekam der kleine Bub dann hohes Fieber. Nachdem die Gabe von Zäpfchen keine Wirkung zeigte, machten sich die Eltern auf den Weg ins Krankenhaus. Noch auf der Fahrt verlor der Bub das Bewusstsein, fing im Krankenhaus plötzlich an zu krampfen.

Dann kam der für Reitbergers wohl schrecklichste Moment ihres Lebens: Die Maschinen, an die Martin angeschlossen waren, zeigten eine Nulllinie, Martin war klinisch tot. In der Folgezeit kämpften mehrere Ärzte bis in die Morgenstunden um das Leben des kleinen Buben. „Die Ärzte sagten uns, wenn er jetzt nicht kommt, müssen wir ihn gehen lassen. Ich habe Martin weinend angeschrien, dass er sich jetzt nicht einfach davonmachen kann“, schilderte Manuela Reitberger bereits vor wenigen Monaten im OVB die bangen Stunden, die letztlich glücklich endeten: Denn die Vitalzeichen kamen zurück, der Bub nach und nach zu sich.

Doch Martins beängstigende Krampfanfälle, die immer wieder zu lebensbedrohlichen Situationen führen, sind ein steter Begleiter der Familie geworden. Wobei Manuela und Markus Reitberger mittlerweile aber zumindest eine Diagnose haben, nachdem sie im Medizinisch-Genetischen Zentrum München vorstellig geworden sind: Entwicklungsverzögerung, eine sogenannte RORB-gen-assoziierte Epilepsie mit hoher Statusneigung. „Es nennt sich Mikrodeletion Rorb-Gen 22q11.23  – das ist sehr selten und kaum erforscht“, weiß Manuela Reitberger heute.

Um mehr über die Erkrankung und etwaige zukünftige Auswirkungen zu erfahren und sich mit anderen Betroffenen austauschen zu können, haben sich die Reitbergers auf die Suche nach möglichen genetischen Zwillingen gemacht, die unter dem selben Gendefekt leiden. Bislang allerdings ohne Erfolg. „Es haben sich mehrere Menschen gemeldet“, verrät Reitberger. „Allerdings handelte es sich dabei immer nur um ähnliche Defekte.“ Letztlich sei aber die Zahl „23“ am Ende der Bezeichnung des Gendefekts entscheidend. Die Hoffnung, dennoch einen genetischen Zwilling zu finden, hat die Bruckmühler Familie aber noch nicht aufgegeben. Mittlerweile haben Reitbergers erfahren, dass es beispielsweise in Norddeutschland einige Fälle geben soll.

Und auch andere Entwicklungen machen Mama und Papa Reitberger große Hoffnung. „Martins Entwicklung ist zwar, wie befürchtet, verzögert“, sagt Manuela Reitberger, die zu allem Unglück derzeit noch mit einer Schulter-Operation zu kämpfen hat. „Allerdings war auch die Rede davon, dass er nie sprechen lernen wird.“ Doch Worte wie „Mama“, „Papa“ oder „Pfiati“ kommen dem aufgeweckten Buben immer häufiger über die Lippen.

Und noch etwas gibt es, was den Reitbergers – trotz aller Ungewissheit, wohin Martins gesundheitliche Reise führen wird – große Zuversicht und viel Kraft gibt: Die Hilfsbereitschaft aus der Region, die die Familie in den vergangenen Wochen erfahren hat. Denn um auf alle medizinischen Eventualitäten vorbereitet zu sein, haben Reitberger beschlossen, die eigenen vier Wände behindertengerecht umbauen zu lassen. Woraufhin zahlreiche Handwerker aus der Nachbarschaft ihre Hilfe für den Umbau des Bades angeboten hatten.

„Wir sind den Betrieben und den Handwerkern für ihre Unterstützung unendlich dankbar. Das ist unglaublich, was die geleistet haben“, sagt Mama Manuela nach dem fast abgeschlossenen Badumbau über die Feldkirchen-Westerhamer Handwerker Matthias Fischhaber, Thomas Steiner und Christian Widhammer sowie die Bruckmühler Handwerker Anton Stahuber und Daniel Maier.

Dass der Familie unbedingt geholfen werden muss, stand für das Quintett außer Frage. „Wenn man von so einem Schicksal hört, hat man doch gar keine andere Wahl, als zu helfen“, findet beispielsweise Stahuber, während Steiner ergänzt: „Wenn so etwas ist, muss man einfach tatkräftig zusammenstehen.“ Zumal die Zusammenarbeit untereinander „hervorragend geklappt hat“, wie Fischhaber findet.

Nach den stressigen Umbauwochen hofft das Ehepaar, auch mal wieder Zeit für einander zu finden. Denn derzeit müsse in der Regel immer einer der Elternteile bei Martin daheim sein, um auf die lebensgefährlichen Anfälle reagieren zu können. „Wir bekommen natürlich auch große Unterstützung von Familie und Freunden“, sagt Manuela Reitberger. „Aber nicht jeder traut sich zu, mit Martin allein daheim zu bleiben.“

Ab Herbst
wieder Reittherapie

Was sich Manuela Reitberger zudem vorgenommen hat: Ab Herbst mit dem Vierjährigen wieder regelmäßig zur Reittherapie zu gehen. „Dass sind ja alles Sachen, bei denen wir die Hoffnung haben, dass es Martins Muskulatur hilft und damit letztlich den Rollstuhl fernhält“, sagt die 42-Jährige. Und Spaß macht sie dem Buben auch. Vielleicht sogar noch ein bisschen mehr, als das Aufladen von Erde mit einer Spielzeugschaufel auf einen Spielzeuglastwagen.

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