Kolbermoor – Der Kontakt zur Mutter: so gut wie abgebrochen. Beziehungen: gescheitert. Maxi Werndl hatte all die Jahre nur eines im Sinn: Basejumping. Der freie Fall, fliegen, mit unglaublichen 200 km/h an Felsen entlang, zwischen Bäumen hindurch, oft nur einen halben Meter über einem Flussbett und Geröllfelder hinweg. Das Glücksgefühl, das Gefühl von Freiheit, der Kick – innere Zufriedenheit fand er nur, wenn er mit seinem Leben spielte, den Tod riskierte.
Die Bitten seiner Mutter, die Panik seiner Lebenspartnerinnen: ignorierte er. „Ich war nicht bereit, den Sport aufzugeben, hörte nicht auf ihre Stimmen“, erzählt Maxi Werndl. „Entweder sie kommen damit klar, oder wir müssen eben den Kontakt abbrechen. So ging es all die Jahre, so warf ich es ihnen an den Kopf.“ Typisches Suchtverhalten, weiß der Kolbermoorer heute. Zusammen mit einem Coach hat er sich aus der Spirale befreit – was gut ein Jahr und unzählige Gespräche erfordert hat. Doch es hat sich gelohnt: „Ich war nicht mehr fähig zu empfinden, war völlig abgestumpft. Nur beim Basejumping habe ich mich lebendig gefühlt, an der Felskante zu stehen und dann zu fliegen, das war megaintensiv.“
Doch wie ist es so weit gekommen? Als Jugendlicher und junger Erwachsener war Maxi Werndl zwölf Jahre lang erfolgreicher Motorsportler, fuhr zuletzt in der Tourenwagenserie, siegte beim 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring. 2009 dann das abrupte Ende seiner Karriere, Sponsor und Manager konnten keine Einigung erzielen. Der damals 21-Jährige zog den Schlussstrich unter das Kapitel Motorsport.
Doch er, der Geschwindigkeit und das Risiko liebt, hatte bereits ein neues Ziel vor Augen: Basejumpen – also im freien Fall aus dem Flugzeug, eine Felskante hinab und erst im letzten Moment den Fallschirm ziehen, um sanft zu landen. Der Reiz? Der Traum vom Fliegen. „Selbst fliegen zu können, mit 200 km/h durch die Luft zu schießen, nur mit dem eigenen Körper“, beschreibt es Maxi Werndl. Einziges Hilfsmittel: der „Wingsuit“, ein spezieller Anzug mit „Fledermausärmeln“, die eine Art Tragfläche bilden, Auftrieb geben, das Steuern ermöglichen.
Doch bis dahin war es ein langer Weg: 2008 die ersten Fallschirmsprünge, dann einige hundert Sprünge mit dem „Wingsuit“ aus dem Flugzeug. 2011 ein Weltrekord mit einer 100-Mann-Formation hoch über Los Angeles – bei dem eine Springerin strauchelte, abstürzte, ums Leben kam. „Das war schrecklich, aber der Weltrekord stand, und es musste ein neues Ziel her. Das war dann Basejumpen“, erinnert sich der Kolbermoorer. Die typische Spirale der Sucht: die Suche nach neuen Grenzen. „Es geht eigentlich nur in eine Richtung, next level, das hört nie auf“, weiß Werndl heute.
2012: der erste Basejump, erst von einer Brücke, dann die Felswände hinab. Italien, Frankreich, jedes Wochenende neue Ziele, neue Herausforderungen – und mit dabei immer das Risiko, der Tod. Von ursprünglich zehn „Freunden“, mit denen Maxi Werndl viel gesprungen ist, leben heute nur noch vier. „Das Schlimme ist, es lässt einen völlig kalt. Wie bei einem Alkoholkranken, der weiß auch, dass seine Sucht gefährlich ist. Man blendet das aber aus, lässt es nicht an sich heran.“
Bis zu einem Tag im Sommer vergangenen Jahres: Bei einem Basejump in Frankreich, Chamonix, 3000 Höhenmeter bis ins Tal, zerschellte ein Freund an den Felsen. Sie waren zu dritt am „Exit“ losgesprungen, nur zwei kamen unten an. „Das Geräusch geht dir durch Mark und Bein. Es war das erste Mal, dass ich live bei einem Absturz dabei war.“ Doch was ihn noch viel mehr erschütterte:
Fortsetzung auf Seite 10