Rosenheim – „Time is brain“ (Zeit ist Gehirn). Dieser Grundsatz gilt für den Zeitraum zwischen einem Schlaganfall und der entsprechenden Behandlung. Je länger es dauert, desto größer der Schaden: Ohne die geeignete Therapie sterben nach Angaben von Experten bei einem Patienten pro Minute etwa 1,9 Millionen Nervenzellen. Bis zu 40 Prozent der jährlich rund 270000 Betroffenen in Deutschland versterben im Jahr nach dem Auftreten eines Schlaganfalls, ein Großteil der Überlebenden bleibt pflegebedürftig. An insgesamt elf Kliniken im Freistaat, darunter auch am Romed-Klinikum Rosenheim, läuft seit Februar dieses Jahres ein Pilotprojekt, das eben diesen Zeitraum drastisch verkürzen soll: die „Flying Interventionalists“ (die fliegenden Eingreifer).
Bisher wurden besonders schwer betroffene Schlaganfallpatienten aus der Region auf dem Landweg in eines der großen Schlaganfallzentren in München verlegt – entweder ins Klinikum Harlaching oder das Klinikum Rechts der Isar. Diesen Prozess kehrt das Pilotprojekt um: Statt die Patienten zu den Experten zu bringen, kommen die interventionellen Neuroradiologen zum Patienten nach Rosenheim: mit dem Helikopter. In der Zwischenzeit wird am Romed-Klinikum Vorarbeit geleistet: „Der Eingriffsraum wird vorbereitet, und das Anästhesieteam steht bereit und leitet bereits die Narkose bei dem Patienten ein“, erklärt Dr. Hanns Lohner, Chefarzt der Neurologischen Klinik am Romed-Klinikum.
Bei dem Eingriff, der sogenannten Thrombektomie, handelt es sich um eine bahnbrechende neue Behandlungsmethode, die die Therapie des Schlaganfalls in den vergangenen Jahren revolutioniert hat. Dabei wird ein Blutgerinnsel, das eine Hirnarterie verstopft, mechanisch mithilfe eines Katheters entfernt. Der Eingriff erfordert eine hohe medizinische Expertise. In Frage kommen dafür rund fünf Prozent der Schlaganfall-Patienten. „Voraussetzung ist, dass eine große Hirnarterie durch ein Gerinnsel verschlossen ist“, erklärt Lohner. Ist die Thrombolyse, eine medikamentöse Behandlung, nicht erfolgreich, kommt die Thrombektomie zum Einsatz – und zwar so schnell wie möglich. Genau das garantiert das Pilotprojekt. Es spart wertvolle Zeit. Laut Dr. Gordian Hubert, Oberarzt am Klinikum Harlaching, bis zu 100 Minuten. Konkret bedeutet das die Rettung von bis zu 190 Millionen Nervenzellen im Gehirn eines Schlaganfall-Patienten. „Mit jeder Minute früher, mit der es gelingt, die Durchblutung wieder in Gang zu bringen, nimmt das Risiko bleibender Behinderungen beim Patienten ab“, erklärt Lohner.
Die Erfahrungswerte zeigen, dass sich die Methode durchaus bewährt. Bisher wurden nach diesem Prinzip drei Eingriffe in Rosenheim durchgeführt. Das Ergebnis: „Bei allen Patienten konnten die verschlossenen Gefäße wieder eröffnet werden“, so Lohner.
Das Verfahren wird bisher nur getestet. Derzeit ist diese Art der Versorgung nur 26 Wochen im Jahr möglich. „Währenddessen werden noch genaue Analysen über die Zeitersparnis und den Behandlungserfolg durchgeführt“, sagt Lohner. In den übrigen Wochen erfolgt die Patientenversorgung nach dem weltweiten Standard wie bisher. „Das jetzige Projekt ist als eine Verbesserung der Patientenversorgung ,on top‘ zu verstehen.“