Rosenheim – Rund 30000 Menschen haben ihre ablehnende Haltung zum neuen PAG am Münchner Marienplatz zum Ausdruck gebracht – die drittgrößte Demonstration der vergangenen zehn Jahre in der Landeshauptstadt. „Skurril“, nennt Robert Kopp, Präsident des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd, die Kundgebung, bei der etablierte Parteien an der Seite von – wie er sie nennt – „anderen“ protestierten. Etwa die Organisation „Refugee Struggle for Freedom“. „Das sind diejenigen, die damals den am Ende trockenen Hungerstreik von Flüchtlingen am Münchner Rindermarkt initiiert haben“, erzählt Kopp. „Dass Menschen, die so etwas tolerieren, eine andere Haltung zur Gefahrenabwehr haben als wir Praktiker, ist klar.“ Weil unter den Demonstranten aber auch Menschen gewesen seien, die „zum Teil verunsichert und nicht informiert“ sind, hat der Polizeipräsident gestern zum Hintergrundgespräch geladen. Das Ziel: eine Versachlichung der Diskussion.
Grund für den Widerstand sind einige neue Befugnisse, die im Zuge der Anpassung an EU-Datenschutzrichtlinien mit eingepflegt wurden. Eine Reaktion auf neue Bedrohungsszenarien durch technischen Fortschritt, Messerangriffe auf Unbeteiligte, Zufahren mit Lkw auf Unbeteiligte und das Darknet. Einige der kursierenden Meldungen zu den zusätzlichen Kompetenzen, die das PAG den Gesetzeshütern zugesteht, seien schlichtweg falsch. „Es wird keinen Polizei- oder Überwachungsstaat geben“, betont Kopp. „Wir sind immer noch rechtsstaatlich und keine ‚Hau-Drauf‘-Polizei.“ Man gehe verantwortungsvoll mit den Befugnissen um.
Drohende Gefahr
Damit die Polizei zur Gefahrenabwehr, also präventiv tätig werden darf, muss sie nachweisen können, dass eine erhebliche Gefahr für wichtige Rechtsgüter wie Leib, Leben oder Gesundheit besteht. Diese sogenannte „drohende Gefahr“ bestehe, wenn etwa ein als gewalttätig bekannter Ehemann seiner von ihm getrennt lebenden Frau droht, sie umzubringen, und er sich plötzlich nicht mehr in der eigenen Wohnung befindet. „Dann muss die Polizei reagieren und frühzeitig Maßnahmen treffen können“, sagt Kopp. „Straftaten verhindern ist besser, als Straftaten verfolgen.“ Rechtsstaatliche Grundsätze wie die Verhältnismäßigkeit und das Übermäßigkeitsverbot müssten dabei selbstverständlich auch weiterhin gewahrt werden.
Präventivhaft
Kritiker bemängeln, dass die Polizei Menschen künftig bei drohender Gefahr bis zu drei Monate in Gewahrsam nehmen darf. Kopp: „Wir sperren Menschen nicht einfach so drei Monate lang weg.“ Sowohl das alte, als auch das neue PAG sähen vor, dass ein Richter den Gewahrsam unverzüglich bestätige. Einen solchen Fall hatte die Polizei laut Kopp am vergangenen Dienstag: Ein Bewohner einer Asylunterkunft, der schon mehrfach durch Delikte wie Raub, Landfriedensbruch und erhebliche Körperverletzungen aufgefallen war und in anderen Unterkünften den Rädelsführer bei Randalen gegeben hatte, sollte innerhalb des Gebäudes in ein anderes Zimmer verlegt werden. Trotz des Verbots sei der Mann in sein geräumtes Zimmer zurückgekehrt, wodurch es zum Streit mit dem Sicherheitspersonal vor Ort gekommen sei. Die Polizei habe den Asylbewerber schließlich in Gewahrsam genommen, um weitere strafbare Handlungen zu verhindern. Der Richter habe den Mann wieder auf freien Fuß gesetzt. „Ein Selbstläufer ist Gewahrsam also nicht“, sagt Kopp.
DNA-Phänotypisierung
Gemäß dem neuen PAG darf die Polizei die Auswertung von DNA-Spuren nicht nur zur Strafverfolgung, sondern auch zur Gefahrenabwehr einsetzen. Allerdings, so der stellvertretende Polizeipräsident Harald Pickert, brauche es auch hier die Genehmigung eines Richters. Zudem komme die DNA-Phänotypisierung nicht massenhaft, sondern nur in Einzelfällen zum Einsatz. Und: „Die Daten werden unverzüglich gelöscht, sobald die Untersuchung vorbei ist“, sagt Pickert. Informationen über Erbanlagen oder Krankheiten würden dabei nicht ausgewertet.
„Wir hatten mal einen Gelegenheitsmord an einer chinesischen Prostituierten“, erzählt Pickert. Damals habe man sämtliche Personen – Freier und das familiäre Umfeld der Toten – unter die Lupe nehmen müssen. „Hätten wir DNA-Proben nehmen dürfen, hätten wir den Kreis der Verdächtigen anhand der ethnischen Herkunft des Täters einschränken können.“ Etwa die Hälfte der potenziellen Täter wäre von vornherein ausgeschieden.
Online-Durchsuchung
Bislang durfte die Polizei lediglich im Rahmen der Strafverfolgung auf Handydaten, beispielsweise auf Whatsapp, Facebook oder in der sogenannten Cloud zugreifen – das PAG legitimiert diese Maßnahme nun auch zur Gefahrenabwehr. Der gläserne Bürger? „Facebook, Google und Amazon wissen mehr über die Bürger, als die Polizei“, sagt Manuel Dresely, stellvertretender Leiter des Präsidialbüros. In Einzelfällen sei diese zusätzliche Befugnis immens wichtig, so Kopp: Bei der Androhung eines Amoklaufs könnte die Polizei mithilfe der Handydaten ermitteln, welche Personen bedroht sind, und diese vorher schützen.
Handgranaten
Dass das PAG künftig denEinsatz von Handgranaten und Sprenggeschossen erlaubt, geht auf Attentate wie das am Berliner Weihnachtsmarkt zurück. Ein Lkw war in eine Menschenmenge gerast. „Da hast du mit einer normalen Schusswaffe keine Chance“, sagt Kopp. Wohl aber mit einem Sprenggeschoss. „Die werden aber nur Spezialisten einsetzen.“
Fazit
Dass es die neuen Befugnisse braucht, „um die Menschen vor potenziellen Gefahren zu schützen“, steht für Kopp außer Frage. „Ich will keine Fälle mehr erleben, in denen die Polizei alles versucht hat, es aber am Ende nicht gereicht hat.“ Es komme letztlich darauf an, wie die Polizei die neuen Befugnisse in der Praxis umsetzen kann. Zu befürchten hätten die Bürger jedenfalls nichts. „Die Menschen werden gar nicht merken, dass sich etwas geändert hat.“