Deshalb zündete Iraker das eigene Geschäft an

Im Klammergriff des Clans

von Redaktion

Es roch nach versuchtem Versicherungsbetrug, als ein Pizza-Lieferservice in Bruckmühl im August 2017 brannte. Wie jetzt vor Gericht klar wurde, hat der Inhaber, ein kurdischer Jeside aus dem Irak, sein Geschäft aus einem anderen Grund angezündet. Der Druck, den der Familienclan auf ihn ausübte, hat in wohl zu der Verzweiflungstat getrieben.

Rosenheim/Bruckmühl – Bei dem Feuer war ein Schaden von rund 100000 Euro entstanden. Wie berichtet, soll der Betreiber des Geschäfts den Brand gelegt haben. Deshalb saß er jetzt im Amtsgericht Rosenheim auf der Anklagebank. Doch im Verfahren wegen Brandstiftung bei dem Pizza-Lieferbetrieb kam es zu einer überraschenden Wende. Das vollumfängliche Geständnis, das der Mann aus dem Irak nun am zweiten Verhandlungstag ablegte, zeigte: von Versicherungsbetrug keine Spur.

Zunächst baten die Verteidiger, Marc Wederhake und Hans Schröder, um ein Rechtsgespräch, weil sich in einer Beratung mit weiteren Familienmitgliedern des Angeklagten zusätzliche Erkenntnisse ergeben hatten.

In der Folge kündigte der ehemalige Pizzeriabetreiber ein Geständnis an, was Gericht und Staatsanwaltschaft mit einem Verständigungsvorschlag honorierten. Sollte der 26-Jährige ein umfassendes Geständnis ablegen, so würde eine Haftstrafe drei Jahre nicht überschreiten. Eine Bewährungsstrafe sei allerdings unwahrscheinlich.

Der Angeklagte bat daraufhin, unter Ausschluss seiner Familienmitglieder aussagen zu dürfen. Da der Wunsch beim Gericht keine Berücksichtigung fand, sprachen die Verteidiger mit der Verwandtschaft und erreichten, dass sie sich von der Verhandlung fernhielt. Im Geständnis entlud sich sicht- und hörbar der Druck, unter dem der Mann gestanden hatte, seit 2008 nach Deutschland gekommen war. Alle Familienmitglieder unterliegen in diesem Kulturkreis offensichtlich strengsten Regeln, die in der Familie konsequent durchgesetzt werden.

Der älteste Bruder (von 14 Geschwistern) bestimmt seit dem Tod des Vaters alleine über den Clan. Von ihm wurde der Angeklagte als 16-Jähriger nach Deutschland entsandt, um sich hier eine Existenz aufzubauen – nur um die restliche Familie im Irak zu unterstützen. Zwar hatte er von der Familie finanzielle Unterstützung zur Gründung des Geschäftes bekommen, musste aber seither 75 Prozent des Gewinnes an sie abführen. So kamen Summen zusammen, die weit über das ursprüngliche Darlehen hinausgingen. Der Bruder verbot dem Angeklagten, Mitarbeiter einzustellen, die er für unnötig hielt, befahl ihm ein zweites Geschäft in Augsburg zu eröffnen – bis der Angeklagte schlechthin überfordert war. Urlaub und Ruhetage waren ihm ebenso verboten wie längere Schließungszeiten. So wusste er, wie er sagte, nicht mehr ein noch aus, zumal ihm Erziehung und Familienverpflichtung verboten, eigene Entscheidungen zu treffen.

„Ich habe das Geschäft angezündet, damit es einfach einmal eine Unterbrechung gibt“, sagte er. Er habe gar kein Interesse am Versicherungsschutz gehabt. Die Meldung an die Versicherung sei durch den Bruder erfolgt.

Der 26-Jährige sei außer Stande gewesen, diesem einzugestehen, dass er selber der Brandverursacher gewesen sei. „Durch dieses Geständnis und diese Tat bin ich in meiner Familie derart in Verruf geraten, dass man mich für immer ausstoßen wird. Das – und nur das – hat mich bisher daran gehindert, ein Geständnis abzulegen. Nur deshalb habe ich die Tat geleugnet.“ Diese Worte sprach der Kurde unter heftigstem Schluchzen und Zittern im Saal. Verstärkt wurde das noch dadurch, dass Schwester und Bruder immer wieder zur Tür hereinblickten und ihm auf kurdisch – durch Mimik und Gestik erkennbar – Vorhaltungen machten.

Der 26-Jährige hatte, um den Brand nicht übergreifen zu lassen, das sonst offenstehende Fenster geschlossen. So kam das Feuer durch Sauerstoffmangel zum Erliegen, wie der Sachverständige Dr. Bender vom LKA bestätigte.

Der Staatsanwalt akzeptierte im Plädoyer, dass es dem Angeklagten wohl nicht um finanzielle Vorteile ging. Allerdings habe es ein unkalkulierbares Risiko für die Mitbewohner gegeben, so dass er eine Haftstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten für notwendig und ausreichend hielt. Die Verteidiger verwiesen auf den geradezu unmenschlichen Anspruch der Familie und die fehlende Bereicherungsabsicht. Ein Fremdschaden in dieser Kurzschlusshandlung sei keineswegs beabsichtigt gewesen. Sie beantragten eine Strafe von zwei Jahren und drei Monaten, die als Untergrenze der Verständigung ausgewiesen waren.

Das Schöffengericht unter Vorsitz von Richter Christian Merkel erklärte eine Strafe von zwei Jahren und vier Monaten für rechtens. Zwar habe die Motivlage durchaus beeindruckt. „Aber wenn eine Familie nicht verzeihend und helfend ist, dann stellt sich die Frage, ob man sich nicht andere Orientierung suchen sollte.“ Weil auch die Brandrisiken nicht kontrollierbar waren, so sei eine spürbare Strafe vonnöten.

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