Amtschef: „Jein“ zur Impfpflicht

von Redaktion

Dr.Wolfgang Hierl ist ein Überzeugungstäter. Verpflichtungen findet er eher die zweitbeste Lösung. „Ein klares Jein“ gibt es deswegen vom Leiter des Rosenheimer Gesundheitsamtes zur Impfpflicht.

Rosenheim – 350-mal Keuchhusten, dreimal Mumps und zweimal Masern – die Zahl der meldepflichtigen Infektionskrankheiten in der Region steigt. Die Rate der Impfungen auch. Dennoch ist Rosenheim Schlusslicht in Bayern und Lichtjahre von den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation entfernt.

Impfen, impfen, impfen – fast schon gebetsmühlenartig wiederholt es Dr.Wolfgang Hierl, der Leiter des staatlichen Gesundheitsamtes Rosenheim. In seinem Haus laufen die Anzeigen der meldepflichtigen Infektionskrankheiten zusammen. Begrüßt er die Impfpflicht gegen Masern? „Ein ganz klares Jein“, lacht er. Hierl überzeugt lieber, als zu verpflichten. „Aber die Überzeugungsarbeit reicht oft nicht. Da ist es dann eine politische Entscheidung, zum Schutz der Allgemeinheit eine Impfpflicht einzuführen.“ Dass dies bei den Masern geschehen ist, kann er nachvollziehen.

„Personalneutral“, also mit seinen jetzigen Mitarbeitern, ist die Sache für ihn nicht umzusetzen. Kinder werden über die Schuleinganguntersuchung erwischt, Kita- und Tagespflegekinder brauchten bisher schon eine entsprechende Bescheinigung. Aber nun käme das gesamte Personal im Gesundheitswesen noch dazu, Lehrer, Kita-Personal, alle Mitarbeiter in der Flüchtlingshilfe und die Flüchtlinge selber.

Die Rückmeldungen verwalten, die Einhaltung der Impfpflicht überprüfen und die Sanktionen verhängen und überprüfen, das wäre zu viel für Hierls gut 40-köpfige Truppe.

Sanktionen? Ja. Nicht geimpfte Schüler und Lehrer zahlen ein Bußgeld, Kita-Kinder und Kita-Personal bleiben draußen und auch das Personal im Gesundheitswesen und der Flüchtlingshilfe kann ungeimpft nicht arbeiten.

Hierl versucht es seit Langem mit Überzeugungsarbeit, stößt an seine Grenzen. Gerade bereiten ihm die vielen Keuchhustenfälle die größten Sorgen. Seit Beginn des Jahres wurden etwa 350 gemeldet. „Wir beobachten eine außergewöhnliche Häufung in den Gemeinden Samerberg und Brannenburg, aber auch aus Rosenheim, Bad Aibling und Kolbermoor werden hohe Erkrankungszahlen gemeldet.“ Der Norden des Landkreises ist längst nicht so betroffen, aus Wasserburg sind zwei Fälle gemeldet, aus drei Nachbargemeinden neun.

Der Leiter des Gesundheitsamtes warnt davor, Keuchhusten zu unterschätzen. Es ist eine hochansteckende und lange andauernde Infektionskrankheit mit Anfällen von oftmals schweren krampfartigen Hustenstößen, verbunden mit Luftnot. „Neugeborene und Säuglinge haben ein hohes Risiko für schwerwiegende Komplikationen, nicht selten kommt es zu lebensgefährlichen Atemstillständen.“ Deswegen empfiehlt Dr.Hierl werdenden Müttern die „Kokon-Strategie“: Etwa ein Monat, bevor das Kind zur Welt kommen soll, sollten sich alle Frauen im gebärfähigen Alter sowie alle anderen Verwandten und Freunde, die im ersten Lebensjahr viel Kontakt zu dem Zwergerl haben werden, impfen lassen, damit das Menschlein ein sicheres Nest hat.

Als Kind Mumps gehabt? Glückwunsch, Sie sind raus aus der Nummer. Mumps, die schmerzhafte und nervige Entzündung der Speicheldrüse, bekommt man nur einmal im Leben. Kinder sind zudem weniger häufig von schwerwiegenden Komplikationen betroffen. Bei Erwachsenen kann Mumps, auch Ziegenpeter genannt, zu vorübergehender Taubheit führen, Hirnhautentzündungen bis hin zum Tod und Unfruchtbarkeit nach Hodenentzündungen sind denkbar. Auch hier hilft in der Regel eine Impfung.

Aber nicht immer: Vergangene Woche hatte Hierl einen Fall mit einem zweimal gegen Mumps geimpften Patienten, der sich die Infektion dennoch einfing. „Das kommt sehr selten vor, aber es kommt vor“, so Hierl. Wegen der Impfung war der Krankheitsverlauf atypisch, der Patient suchte mehrere Ärzte auf und steckte prompt in zwei Praxen jeweils eine Person an. 140 Kontaktpersonen machten Patienten, Praxen und Gesundheitsamt für die drei Fälle aus. Zum Teil musste laut Hierl die Arbeit untersagt werden: Es war Praxispersonal betroffen.

Anfang März hieß es noch „Masern an der Grenze“, drei Wochen später war die Krankheit von Tirol nach Oberbayern geschwappt. Für Masern gilt wie für Mumps: einmal erkrankt, lebenslanger Schutz. Bisher waren es nur zwei Masern-Fälle, darunter ein Zwergerl, das noch zu klein war, um den kompletten Impfschutz zu haben. Auch bei Masern rät Hierl dringend zur Impfung, bei Kindern wie Erwachsenen. Denn Masern treten gerne in Wellen auf. Die letzten Wellen gab es 2008 (67 Fälle), 2013 (27) und 2015 (20) – die nächste Welle dürfte nicht allzuweit weg sein.

Impfung? Am besten noch in den Ferien

Ob Keuchhusten, Mumps oder Masern: Hierl rät immer zur Schutzimpfung. Jetzt, in den Ferien, vor Schulbeginn. Bei Kindern erfolgt die Grundimmunisierung zwischen zwei und 14 Monaten, die erste Auffrischung sollte mit fünf oder sechs Jahren erfolgen, die zweite zwischen 10. und 18. Lebensjahr. Und auch Erwachsene sollten ihren Impfschutz immer wieder erneuern.

In Rosenheim gibt es laut Hierl wenige absolute Impfgegner, „es sind Gottlob nur zwei oder drei Prozent“. Dennoch schneidet die Region bei den Impfraten ganz schlecht ab, liegt seit Jahren auf dem letzten Platz in Bayern. Zwar sei die Quote von 2016/2017 auf 2017/2018 bei der Zweifachimpfung um 2,5 Prozent gestiegen, liege aber erst bei 83,3 Prozent. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt 95 Prozent. Andere Regionen schaffen es: 99,4 Prozent der Erstklässler mit entsprechender Vorsorge vermeldet Freyung-Grafenau im gerne als rückständig verschrienen Bayerischen Wald.

Artikel 10 von 11