In Frankreich gibt es in der Nähe der Grenze zu Piemont einen alten Brauch. Am Ostermorgen, wenn die Glocken zum ersten Mal läuten, laufen alle Dorfbewohner zum Brunnen, um sich dort mit dem klaren Brunnenwasser die Augen auszuwaschen. Nicht, weil sie daheim kein Wasser hätten, sondern weil sie damit ihre Überzeugung verbinden, dass wir durch das, was an Ostern geschieht, wieder neu und klar sehen können.
Die Menschen dort wollen sich mit diesem Brauch die ganze schlechte und negative Sicht auf die Welt aus den Augen waschen. Alles, was sie niederdrückt und traurig macht. Mit „Osteraugen“ können wir das Schöne und das Wesentliche in unserem Leben sehen. Weil Gott durch die Auferstehung Jesu in unsere vom Tod gezeichnete Welt ein unzerstörbares Lebenszeichen gesetzt hat, haben wir durch Ostern sozusagen einen Durchblick in die Unendlichkeit.
So berechtigte Sorgen uns die Pandemie derzeit auch bereitet – immer öfter habe ich den Eindruck, wir vergessen darüber alles andere. Es kann auch so etwas wie einen Lockdown unserer positiven Gedanken geben. Manchmal scheinen wir über das tägliche Schielen auf die Inzidenzzahlen den Blick für die Schönheit unserer Natur zu verlieren und das Gespür für die Liebe und Freundschaft, die uns in unserer Umgebung geschenkt wird. Ausgeblendet wird gleichzeitig alle andere Not, die uns wenig kümmert, denn von der Situation der Geflüchteten in Moria spricht zum Beispiel kaum jemand mehr. Einen Blick mit „Osteraugen“ auf unsere Welt und unser persönliches Leben möchte ich uns daher wünschen.