Rosenheim – Für das vergangene Jahr hat das Statistische Landesamt Bayern einen merklichen Anstieg bei den Anzeigen wegen Kindeswohlgefährdungen verzeichnet. Mit insgesamt 21347 Fällen lag deren Zahl um neun Prozent höher als im Vorjahr. Im Landkreis Rosenheim ist die Zahl der gemeldeten Verdachtsfälle sogar um rund 14 Prozent angestiegen, in der Stadt Rosenheim hingegen um gut sechs Prozent gesunken.
Schutzpläne
für Familien
Das Jugendamt des Landkreises zeigt sich auf Anfrage entsprechend alarmiert: „Nach Überprüfung der eingegangenen Meldungen kommt das Jugendamt des Landkreises Rosenheim zu einem ähnlichen Wert wie das Landesamt für Statistik. „Damit liegt eine Steigerung der tatsächlichen Gefährdungen vor, die die Installierung von Schutzplänen erforderlich macht“, schildert die Behörde auf Anfrage. Weniger Sorgen hingegen hat das Jugendamt der Stadt Rosenheim mit Blick auf die Entwicklung der Meldungen an Kindeswohlgefährdungen, wie die Verwaltung auf Anfrage antwortet.
Wenn das Kreis-Jugendamt nun mit Schutzplänen gegensteuern will, bedeutet dies: Die Behörde schließt mit den Eltern eine schriftliche Vereinbarung. In dieser verpflichten sich die Eltern, bestimmte Auflagen zu erfüllen, um eine Kindeswohlgefährdung abzuwenden. „Hier wird geschaut, was die jeweilige Familie braucht, und was sie dazu beitragen kann, damit das Kind geschützt ist“, schildert Barbara Heuel, stellvertretende Geschäftsführerin des Kinderschutzbunds Rosenheim.
Dabei betont die Diplompädagogin, dass sich nicht jede Meldung einer Kindeswohlgefährdung auch als richtig herausstellt und zum Einschreiten des Jugendamtes führe. Bei der Prüfung des Sachverhaltes spiele vor allem die Kooperationsbereitschaft der Eltern eine große Rolle.
Dass die Corona-Beschränkungen mit den Schließungen von Schulen und Kindergärten zum Anstieg der Meldungen beigetragen hat, ist für Barbara Heuel wiederum offensichtlich. Es seien Monate der ungewohnten Nähe gewesen, gerade bei Familien mit wenig Wohnfläche. „Konflikte, die ohnehin schon schwelten, wurden hierdurch deutlich sichtbarer und ließen sich nicht mehr so leicht überspielen“, sagt Heuel.
Doch noch einen weiteren Grund sieht die Diplompädagogin für den Anstieg der Zahl: Die Sensibilität der Menschen in Sachen Kindeswohlgefährdung habe zugenommen. „Das Thema Kinderrechte ist auch durch die Diskussion im Bund mehr in den Fokus gerückt“, findet sie. Und mit der Öffnung der Schulen und Kindergärten gelangten Missstände in Familien zudem eher ans Tageslicht.
Auch beim Rosenheimer Kinderschutzbund hat man einen höheren Beratungsbedarf verzeichnen können. Die Jahresstunden für direkte Gespräche stiegen 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 11,5 Prozent von 123 auf 205. Die Zahl der Anrufe beim Kinder- und Jugendtelefon nahm um gut 23 Prozent zu. 2020 erreichten die Berater 5581 Anrufe.
Das Jugendamt Rosenheim will nun die „Frühzeitige Krisenintervention“ in den Familien stärken. Ebenso sollen ambulante Hilfen eine Gefährdung des Kindeswohls vorbeugen.
Schlussendlich will die Behörde ihre Erreichbarkeit genauso sicherstellen wie eine „zeitnahe Terminfindung“, um auf belastende Situationen in Familien reagieren zu können, wie das Landratsamt auf Anfrage erwidert.