Traunstein/Rosenheim – Wegen Vergewaltigung einer psychisch beeinträchtigten jungen Frau in einem Hotel in München im Jahr 2018 verurteilte die Jugendschutzkammer am Landgericht Traunstein gestern einen früheren Gemeindereferenten mehrerer katholischer Pfarreien in Rosenheim zu 22 Monaten Freiheitsstrafe, ausgesetzt unter Auflagen auf drei Jahre zur Bewährung. Vorsitzende Richterin Heike Will hob heraus: „Das ist kein typischer Missbrauchsfall der katholischen Kirche. Das Verhalten der Kirche war in diesem Fall absolut vorbildlich.“ Die Verantwortlichen hätten alles nur Denkbare offengelegt und den Fall bei der Staatsanwaltschaft zur Anzeige gebracht.
Kontakte
unterbunden
Der Angeklagte war ab 2011 als Gemeindereferent in der Stadtteilkirche Rosenheim-Inn und in den Pfarreien St. Nikolaus, St. Hedwig und Heilige Familie für die Kinder- und Jugendarbeit zuständig. Dabei lernte er die Geschädigte kennen. Sie hatte sich ihm wegen ihrer persönlichen Probleme im Alter von 16 Jahren anvertraut. Daraus entwickelte sich eine Liebesbeziehung. Als die Eltern davon erfuhren, unterbanden sie weitere Kontakte bis zur Volljährigkeit der Jugendlichen. Nach dem 18. Geburtstag näherte sich der Angeklagte dem immer noch psychisch labilen Opfer wieder. Mutmaßlich im November 2018 kam es zu der Vergewaltigung in dem Hotel.
Nach gestrigen Worten der Vorsitzenden Richterin im Urteil waren zunächst weitere Vorwürfe Gegenstand der Anklage. Der mutmaßlich dreifache sexuelle Missbrauch von Schutzbefohlenen sei eingestellt worden. Dazu Frau Will: „Der Tatnachweis war aus rechtlichen Gründen zweifelhaft. Die weitere Aufklärung wäre nur mit der Geschädigten möglich und für sie eine große Belastung gewesen.“
„Es ist Aufgabe der Kammer, Straftaten zu ahnden, nicht, sie moralisch zu bewerten“, fuhr die Vorsitzende Richterin fort. Der Angeklagte sei fast 20 Jahre älter als die Nebenklägerin gewesen – „in einer Stellung, die ein gewisses Vertrauen impliziert“.
Der 37-Jährige habe „sehr verantwortungslos gehandelt, das Verhältnis ausgenutzt, auch in sexueller Weise“. Frau Will wörtlich: „Das ist verabscheuenswert. Das sage ich Ihnen ganz offen.“ Die junge Frau habe, „aus Angst, den Angeklagten zu verlieren“, mitgemacht. Das Treffen zu dem Geschlechtsverkehr in dem Hotel sei vorher vereinbart worden. Die Grundintention des Gemeindereferenten war nach Frau Will: „Sie wollten sie fesseln, sie rüde, wie eine Sklavin behandeln. Sie hoffte, das würde so nicht geschehen.“ Der Angeklagte habe Fesselwerkzeug mitgebracht, die Frau an Händen und Beinen festgebunden. Die Nebenklägerin habe das nicht abgelehnt. Der Geschlechtsverkehr sei dann „sehr heftig, unangenehm und schmerzvoll“ geworden. Die Frau habe Schmerzen erlitten und geweint.
Dennoch habe der Mann entgegen seiner Zusage erst nach gewisser Zeit aufgehört. Die Kammer habe den Regelfall einer Vergewaltigung angenommen, jedoch den Strafrahmen nach unten verschoben wegen des Täter-Opfer-Ausgleichs samt 10000 Euro Schmerzensgeld. Außerdem habe der 37-Jährige freiwillig ein Kontaktverbot akzeptiert.
In der Strafzumessung wog das Geständnis des Angeklagten „sehr hoch“. Es habe der mittlerweile 23-Jährigen eine weitere Aussage erspart. Sie sei nicht vernehmungsfähig und befinde sich in einer Klinik. Unter den positiven Aspekten erwähnte Heike Will, die Tat liege lange zurück. Der Gemeindereferent habe den Beruf gewechselt. Weiter habe er sich entschuldigt, Einsicht und Reue gezeigt. Strafschärfend wirkten: „Das Opfer war relativ jung, unerfahren und psychisch angeschlagen. Angesichts erheblicher Schmerzen und Weinen beim Geschlechtsverkehr hat der Angeklagte nicht aufgehört. Das spricht für empathieloses Verhalten. Er hat seine berufliche Vertrauensstellung ausgenutzt. Die Folgen der Tat sind gravierend.“ Die Vorsitzende sprach von „einer toxischen Beziehung“.
22 Monate Strafe, so Frau Will, seien tat- und schuldangemessen, Bewährung möglich. Der 37-Jährige lebe in geordneten Verhältnissen mit Frau und Kindern, habe beruflich die Konsequenzen gezogen, absolviere eine neue Ausbildung und sehe seine Tat jetzt in anderem Licht. Auf ein Berufsverbot – Staatsanwalt Florian Jeserer hatte fünf Jahre beantragt – verzichtete das Gericht. Der Angeklagte könne nicht mehr seelsorgerisch tätig werden.
Auch eine vom Staatsanwalt geforderte Geldauflage von 4000 Euro verneinte die Kammer. Angesichts hoher Verfahrenskosten und des gezahlten Schmerzensgelds hätten Frau und Kinder eine derartige Auflage auszubaden. Hinsichtlich einer Therapie in einer Fachambulanz für Sexualstraftäter folgte das Gericht dem Staatsanwalt. Sollten zusätzliche Therapiegespräche notwendig sein, werde das der Angeklagte selbst in Angriff nehmen. Sollte er dieser Auflage nicht nachkommen, könnte das zum Widerruf der Bewährung führen, schloss die Vorsitzende Richterin.
Entschuldigung aus
„tiefstem Herzen“
Staatsanwalt Florian Jeserer hatte – dem vorherigen Deal zur Höhe der Strafe bei einem Geständnis folgend – auf zwei Jahre Freiheitsstrafe plädiert, allerdings mit vierjähriger Bewährungszeit. „Auf ausdrücklichen Wunsch“ seiner Mandantin schloss sich Opferanwalt Korbinian Ortner aus Traunstein ohne Details zum Sachverhalt an. Verteidiger Rouven Colbatz aus Weiden beantragte eine Strafe am unteren Rand der Strafspanne von eineinhalb Jahren. Die Bewährungszeit solle nur zwei Jahre betragen. Im „letzten Wort“ beteuerte der 37-Jährige: „Ich will mich aus tiefsten Herzen und Gewissen entschuldigen. Ich wünsche der Geschädigten baldige Besserung.“