Nußdorf – Es geht was um im Inntal. Kein Bär diesmal. Eher ein Wolf, vermuten Jäger und Almbauern. Mitten in der Nacht schlagen Hunde an. Am nächsten Tag findet ein Spaziergänger oder Jäger Hinweise auf ein nächtliches Drama. So wie Florian Dettendorfer am vergangenen Dienstag in Nußdorf, in der Frühe, zu Füßen des Heubergs, nicht weit weg vom Weiler Buchberg. Dort stieß er auf ein Reh. Tot, die Kehle zerbissen, mit schweren Wunden auch am Hinterteil.
Suche nach
brauchbarer DNA
„Könnte ein Wolf gewesen sein“, denkt sich Dettendorfer und ruft die Polizei. Und die ruft Berufsjäger Andreas Hechenberger. Der denkt an dasselbe, das könnte ein Wolf gewesen sein. Und transportiert den Kadaver des Rehs in ein Kühlhaus. Um die Spuren zu bewahren.
„Wir sind im ,Netzwerk Große Beutegreifer‘“, sagt Hechenberger dem OVB auf Anfrage, „und wir sind geschult, Genproben zu nehmen.“ Diese Proben werden dann eingesandt. Weswegen sich offenbar auch die Informationswege etwas verkomplizieren. Als jüngsten Fall meldet das LfU auf Anfrage einen Wolfsverdachtsfall aus dem Landkreis Berchtesgadener Land, zwei gerissene Schafe vom Montag, 15. Mai. Allerdings weiß auch Hechenberger, dass das Wetter nicht der Verbündete der Ermittler ist. Jeder Tag, den DNA etwa aus dem Speichel eines Raubtiers unter freiem Himmel liegt, verringert die Chancen darauf, brauchbare Hinweise aus dem organischen Material gewinnen zu können.
Vor allem, wenn es so schüttet wie in diesem feuchtkalten Frühling. Dann wird man möglicherweise niemals erfahren, ob da ein Wolf unterwegs war. Oder vielleicht doch nur ein Hund. Wie vor wenigen Tagen an der Lagler-Alm, als freilaufende Hunde eines 62-jährigen Wanderers aus München eine Gams rissen. Allerdings vor den Augen anderer Wanderer, weswegen sich ein DNA-Test erübrigte. Auch Georg Höhensteiger fand am Dienstag, 16. Mai, ebenfalls im Gemeindegebiet von Nußdorf ein totes Reh, meldete sich beim LfU. Aber da sei vorerst niemand gekommen. „Und dann waren eh schon die Raben dran. Da findet man nichts Brauchbares mehr“, sagt er. Auch bei diesem Fund könnte es sich um den Riss eines Wolfes handeln. Höhensteiger nimmt allerdings eher eine natürliche Ursache an. „Nicht weit weg vom Reh lagen zwei Kitze, ebenfalls tot. Es kann auch sein, dass das Tier bei der Geburt gestorben ist und es dann erst Füchse oder Raben angefressen haben.“ Grausam, sagt Höhensteiger, sicher, „aber so ist die Natur“. Kreisbäuerin Katharina Kern kennt die Probleme ihrer Almbauern. Und ihre Sorgen. „Wenn man an Unterholz vorbeigeht, schaut man jetzt schon etwas genauer hin. Da ist schon Unsicherheit“, sagt sie. Sie bewirtschaftet selber eine Alm, an diesem Wochenende geht es los. „Da treiben wir die Viecher rauf“, sagt sie. Weil‘s irgendwann sein muss, so schlecht das Wetter im Frühling auch war. Aber da geht diesmal auch die Angst vor Wolf und Bär mit. Helfen würde es auch, wenn das Landesamt für Umwelt etwas freigiebiger mit Informationen wäre. „Zu langsam, zu wenig transparent“ – so fasst Kern die Kritik vieler Bauern zusammen. So vermischen sich solide Nachrichten und Gerüchte. Fakt ist: Zwei Bären-Sichtungen von vergangener Woche in Salzburg wurden jetzt bekannt. Hubert Stock, Bürgermeister der Marktgemeinde Werfen und Beauftragter des Landes Salzburg für Wolf und Bär, teilte mit, dass eine Polizeistreife den Bären gesehen habe. Die Beamten sichteten ihn nahe dem Grödiger Altstoffsammelzentrum am Fuß des Untersbergs. Der Bär könnte sich von Essensresten angezogen gefühlt haben, die sich oft noch in Verpackungen finden.
Laut Salzburger Nachrichten teilte Stock noch mit, dass es sich bei dem Recycling-Bären um einen alten Bekannten aus der Region Südostoberbayern handeln könnte. „Es passt zusammen mit dem Bärenfoto aus einer Wildkamera aus dem Raum Berchtesgadener Land.“ Stock meinte damit den Bären von Schneizlreuth im Berchtesgadener Land, der sich vermutlich zuvor in der Umgebung von Siegsdorf im Landkreis Traunstein aufgehalten hatte. Kälte, Regen, Wolf und Bär: In der Kombination ist das für die Almbauern neu. Auch für Jagdvorstand Balthasar Kogler, der selber Almbauer im Heuberg-Gebiet ist. „Das ist nicht lustig. Wir haben schon Bedenken, wenn wir am Samstag auf die Alm gehen. So was“, sagt Kogler und schnauft durch, „haben wir bei uns noch nicht gehabt“.
Schafe
bleiben im Tal
Durchschnaufen muss auch Christian Schäfer. Auch er ist betroffen. Er versteht die Sorgen der Bergbauern, sieht ein, dass nicht jeder einen Schutzzaun bauen möchte, hat damit aber auch keine Fläche, die er mit seinen Soay-Schafen im Gebirge beweiden könnte. Seine robusten und trittsicheren Schafe seien bestens geeignet für unwegsames, auch verbuschtes Gelände. Doch gegen die Sorgen kommen sie nicht an.
„Ich weiß nicht, ob sie Wolf und Bär anlocken“, sagt Schäfer. „Heuer bleib ich wohl im Tal“, sagt er, „wenn sich nichts ergibt, werde ich die Herde wohl reduzieren müssen.“