Nach drei Verhandlungstagen – Durchbruch im Mordprozess?

von Redaktion

Fall Hanna So gelangte der Staatsanwalt an den neuen Belastungszeugen – Angehörige von Sebastian T. glauben an seine Unschuld

Aschau/Traunstein – Erst drei Verhandlungstage sind vergangen. Doch sie haben Spuren hinterlassen beim 21-jährigen Angeklagten. Gesenkten Kopfes starrt Sebastian T. vor sich hin. Der Blick ist leer. Die Hände ruhen gefaltet auf der Tischplatte. Die Mundwinkel hängen, er hat dicke Augenringe. Es fällt schwer, sich den Läufer vorzustellen, der er mal gewesen ist. Seit fast einem Jahr sitzt er in U-Haft, wenige Kontakte, wenig Bewegung, wenig Sonne. Und viel Stress. Das zehrt. Am Dienstag wirkte Sebastian T. am Ende seiner Kräfte.

Es dürfte nicht leichter werden: Staatsanwalt Wolfgang Fiedler hob zu Beginn des dritten Prozesstages im Mordfall Hanna zur sensationellen Mitteilung an, dass ein wichtiger Zeuge aufgetaucht sei. Dieser Zeuge, ein Mitinsasse, soll im Gefängnis aus dem Mund des Angeklagten das Eingeständnis gehört haben, am frühen Morgen des 3. Oktober 2022 in Aschau die junge Frau getötet zu haben. Ein Paukenschlag! Die Eröffnung der Staatsanwaltschaft war, so überraschend sie auch ausfiel, kein Versuch der Überrumpelung. Vielmehr war die Staatsanwaltschaft von der Entwicklung offenbar selbst überrascht worden. Erst am Tag zuvor, am Montag, 16. Oktober, sei bekannt geworden, dass sich ein Untersuchungshäftling an eine aufschlussreiche Unterhaltung mit Sebastian T. erinnere, heißt es. Der Anwalt des Mannes hatte sich bei der Staatsanwaltschaft gemeldet, mit der Mitteilung, dass sein Mandant etwas mitzuteilen habe. Von einer Unterhaltung, die ein weiteres Stück im Puzzle dieses Falls darstellen könnte. Unmittelbar nach dem Anruf machten sich dem Vernehmen nach zwei Kripo-Leute und ein Staatsanwalt auf den Weg zum Untersuchungsgefängnis. Sie protokollierten bis zum Abend eine zumindest umfangreiche Aussage: Es soll sich um über 40 Seiten handeln. Staatsanwalt Fiedler sagte im Gerichtssaal, die Aussagen seien „werthaltig“. Darin steckten auch Details, die der Zeuge nur von einem Täter habe erfahren können, nicht aus den Medien. „Wir wurden zeitnah informiert“, sagt Strafverteidiger Harald Baumgärtl, der den „außerordentlich fairen Umgang“ von Staatsanwaltschaft und Gericht mit der Angelegenheit lobt. Man benötige nun aber Zeit. Was nicht weiter überrascht – der Rechtsbeistand wird für sich bewerten müssen, wie viel Substanz in der Aussage steckt. Und ein Verteidiger wird auch herausfinden wollen, welche Motive einen Überraschungszeugen leiten. Wer sachdienliche Angaben zu einem so komplizierten Fall wie dem Fall Hanna macht, wird möglicherweise spekulieren – auf Pluspunkte für die eigene Gerichtsverhandlung. Die Zeit, diese Umstände abzuwägen, hat die Verteidigung nun. Die Vorsitzende Richterin Jacqueline Aßbichler setzte die Befragung des neuen Zeugen auf Dienstag, 24. Oktober, fest (ab 8 Uhr).

Vom Gewicht der Indizien scheint die Vorsitzende Richterin bereits weitgehend überzeugt zu sein. Er sehe den Ernst der Lage nicht, hielt sie Sebastian T. vor. Es sei Zeit zu reden. Das war eine klare Ansage, ausgesprochen gleichsam als pädagogische Maßnahme. Zum speziellen Charakter eines Verfahrens vor einer Jugendkammer gehört eben auch die Fürsorgepflicht, einen unerfahrenen Angeklagten über Konsequenzen zu informieren. Jacqueline Aßbichler ließ es an Deutlichkeit jedenfalls nicht fehlen. Da lautet die Frage: Wie lange wird Sebastian T. sein Schweigen aufrechterhalten? Schon das Quasi-Geständnis gegenüber dem Mitgefangenen scheint zu belegen, welcher Druck sich in dem 21-Jährigen über die Monate aufgebaut hat.

Und dann sind da die Aussagen der beiden Frauen, die am Dienstag, 17. Oktober, zu Wort gekommen waren. Auch die Mutter und die Schwester von Sebastian T.s Schulfreundin, die am Donnerstag, 19. Oktober, befragt werden soll, hatten einen jungen Mann im Ausnahmezustand beschrieben.

Die Mutter (48) schilderte, wie ihre ältere Tochter Sebastian T. kennengelernt habe. Die beiden hätten zusammen eine Förderschule in Marquartstein besucht. „Da gehen Kinder hin, die ein bisserl Probleme haben.“ Dann sei lange Zeit Funkstille gewesen. Schließlich hätten die beiden aber wieder regelmäßig Kontakt gehabt. „Ich weiß nur, dass er von meiner Großen was wollte, sie aber nicht von ihm.“ Laut seinen eigenen Worten hätte er gerne eine Freundin gehabt, sagte die Mutter, es habe aber nicht geklappt. Kurz vor der Festnahme sei er bei einer Hausparty bei ihnen gewesen. Er sei sehr ruhig gewesen, „er hat fast nix gesagt, saß auf der Couch.“ Dann habe er gesprochen, wie aus heiterem Himmel: „Ja, ich war’s, ich hab sie umgebracht.“ Sie sei entgeistert gewesen, sagte die Mutter, sie habe nicht gewusst, was sie darauf antworten solle. Da müsse er sich einen Anwalt nehmen, habe sie dann gesagt.

Ihre 18-jährige Tochter bezeichnete den Schulfreund ihrer Schwester als zurückhaltend, schüchtern, nett. Nach dem 3. Oktober habe er sich verändert. „Er war dann häufiger bei uns, war übertrieben lustig manchmal, hat sich mit Alkohol zugeschüttet. Wir hatten das Gefühl, dass er bei uns einen Rückzugsort sucht.“

Und dann waren da diese Äußerungen, die im Nachhinein grauenvollen Sinn ergeben. Am Tag der Tat, am 3. Oktober 2022, sei man gemeinsam unterwegs gewesen. „Sebastian hat erzählt, ein Mädchen sei umgebracht worden, ob wir da was gehört haben“, sagte die hörbar nervöse 18-Jährige. Dabei informierte die Polizei die Öffentlichkeit erst tags darauf.

Von Details, die ihr nur der Täter berichten konnte, wird möglicherweise am Donnerstag, 19. Oktober, auch die ältere Schwester berichten. Die Last der Indizien auf den Schultern des Angeklagten dürfte dann nochmals größer werden. Sollte er sich endlich äußern, wäre das wohl auch im Sinne von Hannas Eltern. „Für die Eltern wäre es unglaublich wichtig zu verstehen, aus welcher Situation heraus das alles passiert ist“, sagte deren Anwalt Walter Holderle schon zu Beginn. Die Eltern und Angehörigen von Sebastian T. haben ihre eigene Sicht auf den Prozess. Sie standen Spalier, als der 21-Jährige in Handschellen und Fußfessel aus dem Gericht geführt wurde. „Wir glauben an deine Unschuld“, riefen sie. Äußerungen, die die Vorsitzende nicht akzeptierte: Sie rief die Angehörigen prompt zur Ordnung. Michael Weiser

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