Wasserburg – „Danke für das Gespräch“, sagte der Hinterbliebene, nachdem ihm Notfallseelsorger Peter Peischl in einer akuten Krise beigestanden hatte. „Dabei hatten wir gar nicht geredet“, erinnert Peischl sich, „wir haben eine ganze Stunde lang schweigend nebeneinander gesessen.“ Auch das könne helfen, weiß er. Manchmal reiche es aus, einfach „nur“ da zu sein.
Peischl versteht sich deshalb auch eher als Begleiter durch die akute Krise. 29 Jahre engagiert sich der evangelische Pfarrer bereits in der psychosozialen Notfallversorgung: zuerst im Landkreis Hof, seit 2017 im Landkreis Rosenheim, wo in diesem Bereich die ökumenische Notfallseelsorge der Kirchen, der BRK-Kreisverband Rosenheim und die Johanniter Oberbayern Südost mit Sitz in Wasserburg gemeinsam tätig sind.
Methodik der
Krisenintervention
Peischl (65) ist bereits hunderten Menschen in ihrer größten Not zur Seite gestanden. Und auch selbst hin und wieder an seine Grenzen gestoßen: Etwa als er einmal fünf tödliche Unfälle innerhalb weniger Wochen erlebte und bei vieren als Notfallseelsorger im Einsatz war. Oder bei einem Wohnhausbrand mit drei Toten konfrontiert wurde. Das war auch für ihn fast zu viel. Fast. Denn er sagt: „Einer muss es ja machen. Und ja, ich kann es, also tue ich es.“ Was Peischl in solchen extremen Situationen hilft: die Methodik der Krisenintervention. Sie biete allen, die die Ausbildung durchlaufen hätten, die notwendige Sicherheit. Ein Werkzeugkasten des Handels für Begleiter in schweren akuten Krisen quasi.
Geschulte
Helfer
Geschulte Helfer der psychosozialen Notfallversorgung wissen nach seinen Angaben, wie Menschen reagieren können, wenn sie plötzlich mit tragischen Unfällen oder Todesfällen konfrontiert werden, was sie individuell brauchen und welche Schritte ein Kriseninterventionsexperte zu unternehmen hat. Das kann ein Gesprächsangebot sein, eine praktische Hilfestellung wie die Übernahme von Telefonaten oder das Kaffeekochen oder eben auch ein begleitetes Schweigen in den ersten Stunden.
Dass verstörte und verzweifelte Menschen, die direkt oder indirekt in schwere Unfälle oder Katastrophen verwickelt werden, seelischen Beistand benötigen, diese Notwendigkeit ist laut Peischl noch nicht lange anerkannt.
Das Wissen um posttraumatische Belastungsstörungen sei erst in den 70er- und 80er-Jahren aufgekommen. Noch im Ersten und Zweiten Weltkrieg seien beispielsweise die „KriegsZitterer“ als Simulanten abgetan worden. Der Mensch, so habe es die Propaganda vermittelt, sei in der Lage, die Zähne zusammenzubeißen und unbegrenzt leidensfähig.
Kriegsopfer
oftmals ein Wrack
Nur langsam sei es ins Bewusstsein gerückt, dass viele Kriegsopfer als seelische Wracks zurückkamen. Und dass eine psychische Ausnahmesituation schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben kann.
Peischl war dabei, als 1994 in Hof, einer von zehn bayerischen Landkreisen, die ersten Kriseninterventions-Teams aufgebaut und geschult wurden. Damals waren nach seinen Angaben viele Kirchenvertreter dabei. Denn Pfarrer wie Peischl haben schon aus beruflichen Gründen heraus als Seelsorger viel mit Menschen zu tun, die sich in einer Krise befinden.
1999 startete Peischl zusätzlich noch eine Ausbildung zum Feuerwehrmann: „Ich wollte wissen, wie der Laden läuft bei den Rettungsdiensten“, begründet er diese Entscheidung. Als Feuerwehrler bekam er tiefe Einblicke in die Organisation des Rettungswesens, die ihm auch in der Krisenintervention zugutekamen.
Bei verschiedenen Wehren war er als Atemschutzträger, Maschinist und Gruppenführer tätig. Zuletzt war er Aktiver bei den Wasserburgern und musste dort vor wenigen Wochen aufhören: Die Altersgrenze von 65 machte diesen Schritt notwendig. Als Notfallseelsorger engagiert er sich weiter: 200 bis 250 Einsätze hat das Team der Krisenintervention im Landkreis im Jahr, berichtet er.
Ein Leben lang
gekümmert
Peischl ist also ein Mann, der sich fast sein ganzes Leben lang um Menschen gekümmert hat, die sich in Extremsituationen befinden. Wie kann er das aushalten? Eine Frage, die er so beantwortet: „Das muss die Polizei ja auch, gigantisch, was die leisten.“ Er könne es halt und deshalb fühle er sich verpflichtet, diesen Dienst zu tun.
Und ja, sein tiefer Glaube helfe ihm dabei. Nicht nur das methodische Grundlagen-Werk der Krisenintervention, auch die Bibel könne helfen. Und das Bewusstsein für die Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung, sagt Peischl, der eine Leidenschaft für die Physik hat. Was ihn in diesem Zusammenhang „wahnsinnig nervt“: „Das oft fehlende Gefahrenbewusstsein“.
Die Vollkasko-Mentalität vieler Menschen sorge für das Gefühl, alles könne versichert werden und sei deshalb automatisch auch sicher. Doch wer sich mit dem Motorrad zu schnell in die Kurve lege, könne stürzen und sich schwer verletzen. „Ursache und Wirkung – da sollten wir öfter mal physikalisch denken“, findet er.
Auch
Schönes
Peischl legt außerdem Wert auf die Feststellung, dass er zwar bei so vielen Krisenbewältigungen begleitend in den ersten Stunden beteiligt war wie kaum ein anderer Mensch, er jedoch auch viele schöne Erlebnisse hatte: „Wenn ich helfen kann, dass Betroffene wieder Licht am Ende des Tunnels erkennen.“ Er weiß zwar: „Das Leben wird nicht mehr so sein wie vor einem schweren Unglück, denn die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Doch das Leben kann auch noch lebenswert sein.“ Sein Alltag als Pfarrer und Seelsorger in der Not sei trotz vieler Begegnungen mit Menschen in großer Not „nicht ergraut“, sagt er. „Mein Leben ist nicht eine einzige Katastrophe.“ Der vierfache Vater betont, es gebe „tausende schöne Sachen“, die er liebe und die seinen Alltag erhellen würden: singen, Musik machen, werkeln und programmieren.