Menschenleben oder Streikrecht in Gefahr?

von Redaktion

Der für morgen, Dienstag, geplante Streik in den Kliniken Südostbayern (KSOB) schlägt hohe Wellen. Die Klinikleitung in Traunstein will den Ausstand wegen der Gefährdung des Patientenwohls am heutigen Montag gerichtlich untersagen lassen. So wütend reagieren Gewerkschaft und Beschäftigte.

Traunstein – Beim Wahl-O-Mat für die in knapp zwei Wochen anstehende Bundestagswahl ist es die Frage 31 von 38: „Das Streikrecht für Beschäftigte in Unternehmen der kritischen Infrastruktur soll gesetzlich eingeschränkt werden.“ Drei Auswahl-Möglichkeiten gibt es beim Tool, das durch die Beantwortung von Fragen die Wahlentscheidung der einzelnen Bürger für eine Partei erleichtern soll: Stimme nicht zu – neutral – stimme zu.

Verhandlung
vor Arbeitsgericht

Eindeutig für „Stimme zu“ entschieden hat sich die Leitung der Kliniken Südostbayern. Sie will einen am morgigen Dienstag geplanten Verdi-Streik ihrer Beschäftigten – es geht um Forderungen nach Lohnerhöhungen und besseren Arbeitsbedingungen – gerichtlich untersagen lassen. Die Verhandlung ist für heute, Montag, 11 Uhr, vor dem Arbeitsgericht Traunstein angesetzt. Zwei Stunden zuvor werden sich Beschäftigte des Klinikums Traunstein zu einer Pausenaktion versammeln. Sie wollen das Klinikmanagement dazu bringen, die Klage zurückzunehmen.

„Für mich ist das eine absolute Respektlosigkeit der Klinikleitung, Herr Köhler, Herr Gretscher und Herr Hämmerle, uns gegenüber. Wer verklagt denn seine Beschäftigten, weil sie ihre grundgesetzlichen Rechte in Anspruch nehmen wollen“, fragt sich Bernhard König, Krankenpfleger am Klinikum Traunstein. In einer Pressemitteilung der Gewerkschaft Verdi kommt auch Magdalena Fischer, OP- Pflege im Haus, zu Wort: „Die Kolleginnen sind unheimlich sauer, dass die Klinikleitung uns unser Streikrecht nehmen will. Wir haben 2023 genauso gestreikt, wie wir es jetzt vorhaben. Warum soll uns das ein Gericht verbieten?“ Der Antrag der Klinikleitung vor Gericht besteht nach Informationen der Gewerkschaft aus zwei Teilen. Zum einen dem Antrag auf eine einstweilige Verfügung, um den geplanten Streik generell zu untersagen. Falls diese Forderung abgelehnt wird, soll von der Justiz zumindest eine personelle Aufstockung des Notdienstes verfügt werden. „Die Klinikleitung will deutlich mehr Leute im Team haben und sie wollen auch nicht, dass ganze Teams durch den Streik ausfallen“, sagt Verdi-Sprecher Domingo Heber am Sonntag auf Anfrage des OVB. Beim Streik 2023 waren vier Stationen geschlossen gewesen – das will die Klinikleitung diesmal verhindern. „Stellen Sie sich einmal vor, Sie haben einen Infarkt und im nächstgelegenen Klinikum streiken alle Beschäftigten oder diejenigen, die Ihnen mit ihrer Kompetenz helfen könnten“, argumentiert Johannes Schreiber, Pflegeleitung am Klinikum Traunstein. „Deshalb müssen wir sicherstellen, zum Beispiel über eine Notdienstvereinbarung, dass auch im Streikfall ausreichend Personal vorhanden ist, damit keine Gefahr für Leben und Gesundheit besteht.“

Nach dieser Prämisse sei schon vor einigen Wochen mit dem Marburger Bund eine Notdienstvereinbarung abgeschlossen worden. Auch mit Verdi habe in den Verhandlungen der letzten Tage grundsätzlich Einigkeit darüber bestanden, was an Mindestbesetzung notwendig ist, um Gefahren für Leben und Gesundheit von Patienten auszuschließen. Allerdings hätte die Gewerkschaft darauf bestanden, auch von diesen Mindestbesetzungen abweichen zu können.

Das sieht Gewerkschafts-Mann Heber im OVB-Gespräch anders. „Der Notdienst wäre gewährleistet, wenn die Klinik nach unserer Streik-Ankündigung mit einer Woche Vorlauf ihre Hausaufgaben gemacht hätte. Aber sie haben Leute einbestellt und das Haus vollgemacht.“ Deshalb könne es durchaus sein, dass in einigen Teilen der Klinik „nicht so viel gehen“ werde. Patienten-Leben sieht er jedoch nicht in Gefahr, schließlich gebe es mit den InnKliniken oder Romed ebenfalls Notdienstvereinbarungen für den Streikfall. „Bei Romed gab es vergangene Woche auch einen Streik und es sind keine Menschen deswegen gestorben.“ Das Management des Klinikums Traunstein sieht auch das anders. Die Bettenkapazitäten seien derzeit mit über 95 Prozent ausgelastet, weil es jahreszeitlich bedingt einen deutlich erhöhten Krankenstand gebe. „Die von Verdi in diesem Zusammenhang geforderten Maßnahmen wie Aufnahmestopps oder Abverlegungen von Patienten von den drei Stationen des Klinikums Traunstein würden eine erhebliche Gesundheitsgefährdung für diese Patienten bedeuten und sind auch nicht umsetzbar“, erklärt Dr. Stefan Paech, Leitung Medizin Verbund an den KSOB. Das ist ein weiterer Grund, warum sich die Klinikleitung entschieden hat, vor Gericht zu gehen. Wobei es dabei ausdrücklich nicht darum gehe, das grundsätzliche Recht der Beschäftigten auf Streik zu untersagen.

Streikrecht wird
zu Papiertiger

„Streik soll weh tun! Aber der Klinik, nicht den Patienten“, so Verdi-Mann Heber. Man werde es allerdings nicht akzeptieren, quasi den gesamten Krankenhausbetrieb unangetastet zu lassen: „Damit würde das Streikrecht der 2200 Beschäftigten des Klinikums Traunstein zu einem wertlosen Papiertiger.“ Falls das Gericht der einstweiligen Verfügung stattgebe und ein Streik-Verbot ausspreche, werde die Gewerkschaft gegen diese Entscheidung vorgehen. Heber: „Aber wir haben großes Vertrauen in die Justiz.“

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