„Recht auf bestmögliche Behandlung“

von Redaktion

2024 war ein schweres Jahr im kbo-Inn-Salzach-Klinikum Wasserburg: Oberarzt Rainer Gerth wurde ermordet, sein Chef Dr. Stefan Gerl starb an einer schweren Erkrankung. Nachfolgerin ist Ursula Zimmer, die eine schwierige Aufgabe übernommen hat. So arbeitet die erfahrene Expertin für psychisch kranke Rechtsbrecher.

Wasserburg – Sie ist erst drei Monate im Amt, es wirkt jedoch schon so, als wäre sie eine echte „Gaberseerin“: Ursula Zimmer ist bereits „angekommen“ als Chefärztin der Klinik für Forensische Psychiatrie am kbo-Inn-Salzach-Klinikum (ISK). Begeistert erzählt sie vom herzlichen Empfang des Teams, von dem liebevoll vorbereiteten Büro, in das sie mit 15 Kartons eingezogen ist, und über ihre Freude am Klinkgelände in Gabersee – „mit diesem wunderschönen Park und diesen markanten Backstein-Pavillons“. „Ich fühle mich hier sehr wohl“, sagt sie.

Mit dem Wechsel nach Wasserburg erfüllte sich die 62-Jährige, die am heutigen Donnerstag offiziell in ihr Amt eingeführt wird, auch einen Lebenstraum: zurück ins Alpenvorland. Das war schon lange ihr Wunsch nach 30 Jahren in Hessen.

Klinikfamilie muss
schreckliche Tat
verarbeiten

Trotzdem war es kein normaler Start in Wasserburg, denn Ursula Zimmer übernimmt eine Abteilung, die noch immer gezeichnet ist vom Mord am beliebten Oberarzt Dr. Rainer Gerth, der fast auf den Tag genau vor einem Jahr auf dem Klinikgelände erstochen wurde. Der Täter: ein psychisch schwer kranker Mann, der unter paranoider Schizophrenie leidet. Die Klinikfamilie musste diese schreckliche Tat verarbeiten, das Team in der Forensik ganz besonders.

„Es gibt Mitarbeiter, die noch immer unter dem Geschehenen leiden“, hat Zimmer festgestellt, doch sie sagt auch: „Alle standen bei meinem Amtseintritt in den Startlöchern, um nach vorne zu schauen.“

Die neue Chefärztin ist angesichts dieser besonderen Situation „ein Glücksfall“, betont Ärztlicher Direktor Professor Dr. Peter Zwanzger. Sie sei eine Persönlichkeit, die über viel Erfahrung, auch in leitenden Funktionen, verfüge – „engagiert, charismatisch, innovativ denkend, stets mit dem Blick nach vorne“.

„Ich bin ein Mensch, der Herausforderungen liebt“, sagt Zimmer. Sie hat in der Tat in ihrem langen Berufsleben viel angepackt: Projekte initiiert und begleitet, Stationen eröffnet, Ambulanzen und eine Tagesklinik aufgebaut, wissenschaftlich gearbeitet und geforscht. Doch am meisten am Herzen liegt ihr die praktische Arbeit: „Ich bin Ärztin mit Leib und Seele“, sagt sie. Zuletzt war sie stellvertretende Ärztliche Direktorin der Vitos Klinik für Forensische Psychiatrie in Gießen. Ihre Schwerpunkte: die Behandlung psychisch kranker Sexualstraftäter oder Rechtsbrecher mit Intelligenzminderung.

Sie arbeitete mit Größen der forensischen Psychiatrie zusammen: unter anderem mit dem Ärztlichen Direktor der forensisch-psychiatrischen Ambulanz Hessen, Roland Freese, ein international anerkannter Nachsorge-Spezialist.

Ihre letzte Chefin, die Ärztliche Direktorin der Vitos forensischen Klinik Gießen, Dr. Beate Eusterschulte, und deren Vorgänger, Dr. Rüdiger Müller-Isberner, langjähriger Ärztlicher Direktor der forensischen Kliniken in Haina und Gießen, stehen für die Einführung moderner Prognose-Instrumente, die Zimmer auch in Wasserburg anwenden wird. Das Ziel: „Die Qualität des Risikomanagements erhöhen.“

Ein hochaktuelles Thema angesichts der Debatten über psychisch kranke Attentäter. Bei jedem neuen Vorfall, der so wie in Mannheim und München zwei Leben gekostet hat, kocht sie schließlich wieder hoch: die Frage nach dem Umgang mit psychisch schwer kranken Menschen und ihrer möglichen Gefahr für die Gesellschaft.

Schwer verständliche
Taten als Folge einer
Hirn-Fehlfunktion

Zwanzger versteht den Impuls, zu denken: So etwas tue nur jemand, der von Natur aus böse sei. Und es sei schwer zu vermitteln, dass psychisch Kranke, die beispielsweise unter Wahnvorstellungen leiden würden, Taten dieser Art nicht aus einer schlechten Grundhaltung heraus begehen würden, sondern als Folge einer Fehlfunktion des Gehirns. In forensischen Kliniken würde dieser Straftäter nicht nur weggesperrt, sondern behandelt: oft mit Erfolg, weil nachhaltig. Zimmer verweist auf eine langjährig geführte Statistik der hessischen Nachsorgeambulanz, die festgestellt habe, dass es nur bei vier Prozent der Patienten nach der Entlassung zu Rückfällen komme. Wichtig sei deshalb auch die Nachsorge, die auch in Gabersee stattfindet: Fünf Jahre lang stehen Patienten nach dem stationären Aufenthalt noch unter Führungsaufsicht und werden von Psychiatern „aufsuchend“ ambulant weiter betreut.

Doch ein Behandlungsprozess braucht Zeit, weshalb in der Forensik Patienten oft vier bis sechs Jahre stationär behandelt werden. Eine Zeitspanne, die der Grund ist, warum Zimmer ihren Beruf so liebt. Forensiker könnten lange, strukturiert und intensiv mit Betroffenen arbeiten. Vorausgesetzt, sie machen mit. Ist dies nicht der Fall, gibt es unter bestimmten Voraussetzungen eine Rechtsgrundlage per Gerichtsbeschluss, die auch eine Zwangsbehandlung ermöglicht, so Zimmer.

Vor allem bei Schizophrenie gibt es nach ihren Erfahrungen sehr gute medikamentöse Konzepte. Bei Straftätern mit intellektueller Einschränkung sei es oft möglich, die Impulskontrollstörung gezielt zu behandeln. Auch Sexualtätern könne beispielsweise mit Arzneimitteln der Druck genommen werden. Für jede Erkrankung gebe es evidenzbasierte Leitlinien als Basis für die Vorgehensweise.

Sie hat nach eigenen Angaben noch nie ein Problem damit gehabt, mit „Tätern zu arbeiten“. Und findet: „Alle Menschen, auch sie, verdienen Respekt und haben ein Anrecht auf bestmögliche Behandlung nach dem neuesten Stand der Wissenschaft.“ Sie habe sich außerdem noch nie vor Patienten gefürchtet. „Natürlich gibt es Situationen, die nicht ohne sind“, räumt Zimmer ein.

Doch die Sicherheitskonzepte in der Forensik seien sehr ausgereift. Das Personal werde intensiv geschult und sei es gewohnt, vorausschauend zu denken und mit unvorbereiteten Situationen klarzukommen. Trotzdem hat sie in ihrem Berufsleben zweimal einen Angriff erlebt, zu Beginn ihrer Karriere und nicht in der Forensik, sondern in der Allgemeinpsychiatrie.

Dass sie Forensikerin wurde, sei übrigens eher dem Zufall geschuldet, berichtet Zimmer. Ihre Mutter, eine Krankenschwester, brachte sie im Alter von 16 Jahren in Schwäbisch Hall in Kontakt mit behinderten Menschen, doch während des Studiums der Humanmedizin in Erlangen interessierte sie sich vor allem für das Fach Gynäkologie und Geburtshilfe. Als es ihren Mann beruflich in das Allgäu verschlug, gab es hier in Kaufbeuren die Chance, in der Gerontopsychiatrie als Ärztin zu arbeiten und ihre Facharztweiterbildung zu absolvieren. Der Einstieg. Später zog es die Familie nach Hessen, wo Zimmer die stationäre Forensik von der Pike auf erlernte.

In der freien Zeit
geht es in die Berge oder ans Klavier

Die besondere Struktur dieses Klinikbereichs ermöglichte ihr, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Mittlerweile sind die drei Kinder erwachsen. Der Familienrat entschied nach ihren Angaben, die Chance, als Chefärztin zurück ins Alpenvorland zu gehen, anzunehmen. Das Inn-Salzach-Klinikum biete ihr ein Stück Gestaltungsfreiheit, das ihrer Leidenschaft für neue Wege entgegenkomme, so Zimmer. Sie genießt außerdem die enge Vernetzung mit anderen Abteilungen und Kollegen, Justizbehörden und Polizei. Und einen Arbeitsplatz in der Natur, nah an den geliebten Bergen.

Privat ist Zimmer hier gerne unterwegs, begleitet von ihrem Hund. Zur Entspannung spielt sie Klavier auf einem 90 Jahre alten Flügel. Die Forensikerin gilt als begnadete Pianistin, sagt ihr Chef Zwanzger, was sie bescheiden von sich weist.

Maßregelvollzug im Strafgesetz

Die Klinik für forensische Psychiatrie in Wasserburg

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