Der Welt entrissen – Erinnerungen an Hanna

von Redaktion

Hanna Wörndl wäre am heutigen Donnerstag27 Jahre alt geworden.In Laufen läuft der zweite Prozess um ihren Tod.War es Mord? Oder war es doch ein Unfall? Hannas Eltern bleiben nur die Erinnerungen. Ein Porträt in Abwesenheit.

Aschau – Die Mühlen der Gerechtigkeit, sie mahlen langsam. Sie mahlen geräuschvoll, im Amtsgericht in Laufen hört man die Attacken der Verteidiger, die Entgegnungen der Staatsanwälte, die Fragen des Gerichts. Hinter den juristischen Gefechten verblasst ein Bild: das Bild einer lebensfrohen jungen Frau, der Welt so zugewandt, der Welt abhandengekommen am 3. Oktober 2022, drei Wochen vor ihrem 24. Geburtstag. Drei Jahre später ist sie, den Eindruck wird man nicht los, aufs Aktenzeichen reduziert. Der „Fall Hanna“.

Im Gedächtnis
lebt Hanna weiter

Die Familie Wörndl wohnt am Ortsrand von Hohenaschau. Dort, wo die Straße durchs Priental Richtung Sachrang allmählich ansteigt. Hoch darüber zackt die Kampenwand in den Himmel. Wenn sich die Bäume an den Hängen im Herbst verfärben, leuchten das Rot und Orange wie der Widerschein von Flammen durch das große Fenster im Wohnzimmer. Unterhalb des Hauses, zu Füßen des Anwesens, liegt die Talstation der Kampenwandbahn. Dort irgendwo, nicht weit entfernt vom Parkplatz, starb Hanna.

„Freunde waren
Hannas Hobby“

Sie lebt in den Erinnerungen ihrer Familie. Und ihrer Freunde. „Freunde waren Hannas Hobby“, sagt ihre Mutter. Wenn Hanna mal da war, habe sie sich immer ein straffes Pensum verordnet, erzählt Rosalie Wörndl: „Da muss ich noch hin, dort treff‘ ich mich auf einen Kaffee, den muss ich noch besuchen…“ Auch an jenem Abend vor drei Jahren war sie in Gesellschaft von Freunden. Hanna hatte eigentlich schon am Vortag zurück nach Cluj fliegen wollen, wo sie Medizin studierte. Sie blieb dann aber noch, um im Club „Eiskeller“ zu feiern und Freunde zu treffen.

Ein Foto der Familie steht für Hannas große Leidenschaft. Es zeigt sie vor einer wandgroßen Weltkarte. Sie steht zwischen Afrika und Südamerika, die Arme hat sie ausgebreitet. Die Karte gehört zur Geschichte einer anderen jungen Frau. Zu Emma Carey, der „Frau, die vom Himmel fiel“. Eine Australierin, die über der Schweiz mit dem Fallschirm absprang. Doch der öffnete sich nicht. Emma Carey stürzte aus 4500 Metern fast ungebremst auf die Erde – und überlebte, überwand sogar ihre Lähmung. Sie schrieb ein Buch darüber, reiste um die Welt.

Hanna
reiste so gern

Durchaus möglich, dass diese Frau Hanna beeindruckt hat. Auch sie reiste so gerne. Im Café Pauli habe sie gearbeitet, um ihre Reisekasse aufzubessern, erzählen ihre Eltern. Mal spricht Rosalie, mal Andreas Wörndl, sie ergänzen einander, oft beginnt einer den Satz, und der andere vollendet ihn. „Wir haben ihr nie viel verboten“, sagt Rosalie. „Mussten wir auch nicht“, sagt Andreas. Sie schränkten ihre Tochter nicht ein, sie bestärkten sie. Wie auch den Sohn. Die beiden seien auch als Heranwachsende unkompliziert gewesen. Sie mit Hang zur Medizin, zu Ed Sheeran und dem Musical „Les Miserables“. Er eher mit dem Talent für Mathe. Dennoch: Hanna sei als die Ältere diejenige gewesen, die den Kurs angab. Da sind sich die Eltern einig.

Man konnte Hanna
stets vertrauen

Viel erzählen die Eltern von Hannas großer Reise. Zusammen mit einer Freundin aus Aschau wollte sie die antreten. Doch die bekam die Chance, bei der „Residenz Heinz Winkler“ anzufangen. Hanna machte sich allein auf die Reise, nach Australien, Neuseeland, Indonesien, Singapur, fand auf jeder Station Anschluss und Freunde. „Bali war mir nicht geheuer“, gibt die Mutter zu. „Aber sie war tough und strukturiert, und wir wussten, wir können uns auf sie verlassen.“ Initiative habe sie gezeigt, sagt Andreas. „Sie war so selbstständig.“

Die Schwester einer Freundin erzählte vom Leben in Cluj und vom Studium an einer rumänischen Uni. Hannas Antwort war nicht weiter überraschend: „Das schau ich mir mal an.“ Es habe ihr gefallen, lauter junge Leute, eine schöne Innenstadt voller Leben. Und sie machte, was sie liebte. „Sie wäre eine gute Ärztin geworden“, sinniert Andreas Wörndl, „ganz bestimmt.“

Hanna liebte
ihr Studium

Womöglich wäre sie mittlerweile Assistenzärztin. Wenn nicht am 3. Oktober 2022 etwas passiert wäre. Hanna ertrank. Im Bärbach oder der Prien, man weiß es nicht genau. Die Eltern meldeten sie vermisst, Stunden zuvor hatten Retter ihre Leiche schon aus der Prien geborgen. Die Eltern hatten sich erstmal wenig Sorgen gemacht. Eben weil Hanna so selbstständig war, weil sie bei Freunden übernachtet haben musste.

Erst am Abend, als Anrufe im Bekanntenkreis keine Nachricht von Hanna ergaben, wuchsen die Sorgen. Ihr Tod löste Trauer weit über Aschau hinaus aus. Auch bei Lehrern von Hannas früherer Schule, des Gymnasiums in Marquartstein. Auch so eine Geschichte, das mit Marquartstein. Hanna hatte sich dafür entschieden, weil die Schule etwas von einem Schloss hat, erzählen die Eltern. „Klar, für sie als Harry-Potter-Fan“, sagt ihre Mutter. Hanna hinterließ Eindruck.

Trauer – weit
über Aschau hinaus

Die Schule widmete ihr einen ergreifenden Nachruf, an sie persönlich gerichtet, als könne Hanna von der anderen Seite aus zuhören. Lebensfroh und wissbegierig sei sie gewesen. „Auch als junge Frau warst du empathisch, hilfsbereit, herzlich, du bist immer auf dem Boden geblieben, warst nie überdreht oder überheblich.“ Mehr als zehn Lehrer kamen zur Trauerfeier, erinnert sich Andreas Wörndl.

Den Eltern gehen Kraft und Zuversicht aus

Ob die Menschen, die um sie trauern, jemals erfahren werden, was geschah? Zweifelhaft. Die Eltern glauben nicht mehr daran. Das erste Verfahren hatten sie als Nebenkläger fast durchgehend begleitet. Und noch heute danken sie den Ermittlern, der Staatsanwaltschaft, dem Gericht dieses Prozesses. Kürzlich, nach vier Tagen des zweiten Verfahrens, war die Kraft der beiden aufgebraucht. Sie haben sich als Nebenkläger zurückgezogen.

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