Ins Rollen gekommen

von Redaktion

OVB-Serie „Ausprobiert und miterlebt“ – Folge neun: Rollstuhlbasketball

Rosenheim – 18.30 Uhr, Sporthalle Raubling. Schon auf dem Weg in die Halle höre ich das gleichmäßige Dribbeln von Basketbällen. Es riecht nach Schweiß. Michi Schmid (26) trainiert seit zwei Jahren die Rollstuhlbasketballer des SB DJK Rosenheim, die in der Regionalliga Süd spielen. Eine Mannschaft, in der behinderte und nicht behinderte Menschen spielen. Heute wird Michi Schmid auch mein Trainer sein – für zwei Stunden. Bevor es richtig losgeht, stellt er mir die fünf anwesenden Spieler vor. Die Hälfte fehlt, denn zur Mannschaft gehören normalerweise elf Spieler.

Michis Vater, Michael Schmid, der als „Mannschaftspapa“ bekannt ist, passt mir den Ball zu. Vertraut liegt das orangene Leder in meinen Händen. Seit 15 Jahren spiele ich selbst Basketball – und doch fühlt sich heute alles anders an. Ich bin nervös.

Verzweifelte

Dribbelversuche

Trainer Schmid zeigt auf den Rollstuhl, der nur wenige Meter von mir entfernt steht. „Einmal Platz nehmen bitte“, sagt er und lacht. Ich setze mich in den Rollstuhl. Wirklich bequem ist es nicht. Ich fühle mich eingeengt. Etwas verunsichert schaue ich in die Gruppe. Einige haben ihre Beine festgeschnallt, andere nicht. Ich entscheide mich für die erste Variante. Während sich die anderen warm machen, gibt mir der Mannschaftspapa eine kurze Einführung. „Es ist gar nicht so schwer“, ruft er mir aufmunternd zu. Er scheint recht zu haben, denn das Vorwärtsrollen mit beiden Händen geht fast wie von selbst. Nachdem ich die Halle mehrere Male mit dem Rollstuhl durchquert habe, nehme ich mir einen Ball.

Kurz überlege ich, wie ich das Dribbeln und das Drehen an den Rädern unter einen Hut bringe. Schnell stelle ich fest, dass das einseitige Antreiben den Stuhl im Kreis fahren lässt. „Und wohin soll ich jetzt mit dem Ball“, frage ich verzweifelt. Trainer Michi kommt mir zu Hilfe. „Zweimal hintereinander darfst du den Rollstuhl mit beiden Händen antreiben. Während dieser Zeit kann der Ball auf deinem Schoß liegen. Dann musst du wieder dribbeln.“ Und fügt hinzu: „Das entspricht der Schrittregel bei Fußgängern, ansonsten sind die Regeln gleich.“ Unter den Rollstuhlbasketballern bezeichnet man mich als „Fußgänger“.

Während ich meinen Rollstuhl in Richtung Korb antreibe, liegt der Basketball auf meinem Schoß. Soweit so gut. Ich nehme den Ball und setze zum ersten Dribbelschlag an. Der Ball prallt auf das ausladende Gestänge zu meinen Füßen, die sogenannte Pufferzone für Zusammenstöße mit Gegen- und Mitspielern, die mir heute hoffentlich erspart bleiben. Etwas mutlos schaue ich meinem Ball hinterher, der langsam über das Spielfeld rollt. Ich habe mir das alles einfacher vorgestellt. Was auf zwei Beinen ein Kinderspiel ist, ist auf zwei Rädern viel komplizierter. Vielleicht klappt es bei der nächsten Übung besser – Korbwurf. Der Korb hängt, wie beim Fußgänger-Basketball, 3,05 Meter hoch. Im Sitzen ist das unheimlich weit entfernt. Schmid senior trifft trotzdem immer wieder. Der 55-Jährige sitzt seit einem Verkehrsunfall vor 17 Jahren im Rollstuhl. „Ich habe schon früh mit dem Training angefangen“, sagt er zwischen den Korbwürfen. Er passt mir den Ball zu. Ich konzentriere mich, schaue auf den Korb, atme tief durch und werfe. Die Richtung stimmt, die Höhe nicht. „Airball“ sagt man unter den Kennern: Wenn der Ball weder Netz, Ring noch Brett berührt. „Sicher, dass du Basketball spielst?“, scherzt der 55-Jährige. Mein Ehrgeiz ist geweckt und ich probiere es gleich noch mal. Diesmal berührt mein Ball immerhin den Ring. Beim dritten Versuch der ersehnte Treffer. Endlich ein Erfolgsmoment.

Spezielles

Punktesystem

Während ich mich langsam an die Sportart herantaste, üben die Erfahrenen taktische Züge und Korbwerfen aus jeder Position. Zu ihnen gehört Sercan Ismail. Der 28-Jährige stürzte als Kind vom Balkon und sitzt seitdem im Rollstuhl. Seit drei Jahren spielt er beim DJK Rosenheim. Sercan ist querschnittsgelähmt und zählt als „1.0-Spieler“. Dabei handelt es sich um die niedrigsten Klassifizierungspunkte im Rollstuhlbasketball. Schmid senior erklärt mir das Punktesystem: „Die fünf Leute auf dem Feld dürfen maximal auf 14,5 Punkte kommen. Fußgänger, wie ich, zählen 4,5 Punkte. Bei Frauen in der Mannschaft bekommen wir einen Bonus. Dann dürfen wir statt 14,5 insgesamt auf 16 Punkte kommen.“ Und es gilt: Je schwerer die Behinderung eines Spielers, umso niedriger die Punktzahl. Eine weitere Regel: Es dürfen immer nur zwei Fußgänger auf dem Feld stehen. Kein Problem für die Rosenheimer Mannschaft, die nur zwei im Team hat. Einer ist Trainer Michi. „Das Team bedeutet mir unheimlich viel. Wir haben eine erfahrene junge Mannschaft, die viel Potenzial hat.“ Der Aussage seines Trainers schließt sich Sercan an: „Die Mannschaft ist wie eine kleine Familie, die mich stärkt, motiviert und mich als Mensch verbessert.“

Die zwei Stunden sind fast vorbei. Meine Hände schmerzen. „Jetzt machen wir noch zehn Minuten Konditionstraining“, ruft Michi. Die fünf Spieler reihen sich an der Grundlinie auf und beginnen mit Liniensprints. Blitzschnell rasen sie in ihren Rollstühlen von Linie zu Linie und feuern sich untereinander an. Nach zehn Minuten ist das Training beendet. „Bis Donnerstag“ rufen sich die Spieler zu. Ich verabschiede mich vom Trainer. „Vielleicht kommst du noch mal wieder“ sagt er. Warum nicht. Spaß gemacht hat es, trotz fehlender Erfolgsmomente.

Teilnahme möglich

Nächstes Heimspiel: Sonntag, 3. März, 11 Uhr gegen Ulm und 15 Uhr gegen Stuttgart in der Gaborhalle.
Training: Dienstag und Donnerstag, in der Zeit von 18.30 Uhr bis 21.30 Uhr.
Kontakt: info@rollstuhlsport-ro.de.

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