Rosenheim – Ein Berg an Bürokratie, hohe Kosten, fehlende Medikamente und mangelnder Nachwuchs – mit diesen Sorgen müssen sich Apotheken-Betreiber in ganz Deutschland auseinandersetzen. Bisher hat sich kaum etwas getan. Und das, obwohl schon im Juni etliche Apotheken in ganz Deutschland gestreikt und ihre Filialen für einen Tag dichtgemacht hatten.
Jetzt hat die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) erneut zum Streik aufgerufen. Morgen soll es dem Verein zufolge flächendeckende Apothekenschließungen in Süddeutschland geben. Auch in Rosenheim müssen zahlreiche Kunden damit rechnen, vor verschlossenen Türen zu stehen.
Lauterbachs Politik
„kontraproduktiv“
So beispielsweise bei der Bahnhof-Apotheke in der Münchener Straße. Seit einer Woche weist ein Zettel am Eingang darauf hin, dass am 22. November geschlossen ist. „Die öffentlichen Apotheken sind unterfinanziert. Es gibt ein massives wirtschaftliches Problem“, erklärt Dr. Rudolf Haase von der Bahnhof-Apotheke auf OVB-Anfrage. Daher fordert die ABDA, den Festzuschlag zu erhöhen, welcher zum Ausgleich der fixen Betriebskosten der Apotheken eingeführt wurde. Derzeit liegt dieser bei 8,35 Euro – benötigt würden zwölf Euro, fordern die Apotheker.
Doch nicht nur die Unterfinanzierung ist den Verbänden zufolge ein Problem. Auch die inzwischen schon seit über einem Jahr bestehenden Lieferengpässe bei verschiedenen Medikamenten belasten die Apotheker. Dadurch kommt es laut Haase nämlich nicht nur zu einem Umsatzausfall, sondern auch der bürokratische Aufwand steigt weiter.
Haase zufolge sind die Lieferengpässe größtenteils politisch verursacht. Sein Lösungsvorschlag: „Die Rabattverträge der Krankenkassen sollten abgeschafft werden. Nur so wird Deutschland auch für die pharmazeutischen Hersteller wieder attraktiv.“
Zudem macht er deutlich, dass er wenig von Karl Lauterbachs Gesundheitspolitik hält. Was der Bundesgesundheitsminister vorschlägt, sei „durchweg kontraproduktiv“, sagt er. „Pseudo-Apotheken“, welche als Video-Pharmazie-Stellen funktionieren, „werden die strukturellen Probleme nicht lösen“, so Haase. „Die Gesundheitsversorgung ist massiv gefährdet“, warnt er. Genau deshalb seien Streiks nun ein wichtiges Mittel, um auf die Lage der Apotheken aufmerksam zu machen.
Welche Apotheken
nicht schließen
„Wir arbeiten quasi für die Vergütung von vor 20 Jahren“, ärgert er sich. Daher fordern die Apothekerverbände unter anderem einen Inflationsausgleich. Dieser würde zudem nicht die Kunden, sondern vielmehr die Krankenkassen treffen.
Nicht alle Apotheken sehen einen Streik – inklusive Filialschließungen – als probates Mittel, um gegen die Probleme zu kämpfen. Annette Reindl, Leiterin der Christkönig-Apotheke und der Apotheke im Bahnhof, wird ihre Filialen morgen nicht komplett schließen. „Ich halte den Streik nicht für die richtige Form. Dieser trifft schließlich am Ende die Kunden – und die können nichts für die Lage der Apotheken“, sagt Reindl. Sie wünscht sich von Vertreterverbänden und Vereinen, dass ein anderes Mittel gefunden wird, um ihre Interessen durchzusetzen.
Auch Nadja Wehner von der Rosenapotheke in Happing war sich zunächst unsicher, wie sie mit der Situation umgehen soll. Sie hat mit denselben Problemen zu kämpfen, wie alle anderen Apotheker auch. Dennoch fühlt sie sich ihren Kunden, die zu 80 Prozent Stammkunden sind, besonders verpflichtet. Sie steht zwar hinter den Forderungen der Apothekerverbände, wie sie sagt, hat sich am Ende aber für eine Kompromisslösung entschieden. Sie wird ihre Filiale nur am Nachmittag dichtmachen. Da viele Arztpraxen am Mittwoch ohnehin geschlossen seien, würde dies die Kunden nicht allzu stark treffen.
Streik hin oder her: Apotheken sind ein Grundstein der Gesundheitsversorgung. Und gerade im Winter, mit steigender Anzahl an verschiedensten Infektionskrankheiten, werden sie wieder Hochsaison haben. Dr. Rudolf Haase hat jedoch eine düstere Prognose: „Aufgrund der aktuellen Lieferengpässe und der zu erwartenden Krankheitswelle glaube ich, dass der Winter hinsichtlich der Versorgungslage schwierig wird“, sagt er. „Aber ich hoffe, dass ich mich irre.“