Rosenheim – Wenn die Gebirgsschützenkompanie Rosenheim am Tag des heiligen Sebastian in ihrer Sebastiani-Wallfahrt zur Pfarr- und Wallfahrtskirche Heilig Blut im Süden von Rosenheim zieht, läuten sie ein Jubiläumsjahr ein.
Vor genau 400 Jahren stiftete der Rosenheimer Patrizier Andreas Weidacher ein imposantes Epitaph für sich und seine Familie. 30 Jahre später verlegte die Sebastiansbruderschaft ihren Altar samt Wallfahrt von der Pfarrkirche Pang nach Heilig Blut.
Das Stifterbild
von 1624
Das Stifterbild lag Günter Reichelt, der unweit der Kirche auf dem Wasen wohnt und sich als Mitglied der Kirchenverwaltung und Kirchenpfleger seit Jahrzehnten ehrenamtlich in der Pfarrei engagiert, stets ganz besonders am Herzen. Ihn berührte schon immer die Darstellung des Andreas Weidacher und seiner beiden Frauen mit den Kindern. Im frommen Gebet versunken knien sie hier, fein sortiert nach männlichen und weiblichen Familienmitgliedern, den Rosenkranz in den Händen und in der dunklen Kleidung mit den weißen Krägen, wie sie damals im Frühbarock typisch war. „Wir sehen hier eigentlich ein Familienfoto aus dem Jahre 1624“, schmunzelt Günter Reichelt. „Natürlich nicht mit einem Fotoapparat aufgenommen, sondern gemalt, und ein bisschen geschummelt wurde auch.“
Ganz links erkennen wir den Stifter Andreas Weidacher, damals 39 Jahre alt, der als Gastwirt, Getreidehändler und Ratsherr zu den Honoratioren von Rosenheim gehörte. Schon sein Vater Bartholomäus Weidacher hatte es zu einem ansehnlichen Vermögen mit zwei Häusern am Max-Josefs-Platz und in der Heilig-Geist-Straße gebracht. Neben ihm kniet sein ältester Sohn, der damals vierjährige Sebastian, der nach dem Tod des Vaters 1652 die Geschäfte erfolgreich weiterführen wird. Doch er wird auch der letzte männliche Weidacher in Rosenheim sein; mit seinem Tod 1684 erlischt das Patriziergeschlecht. „Die Kreuze zeigen, wer bereits verstorben ist“, erklärt Günter Reichelt, der mit seinen Gebirgsschützen rund ein dutzendmal bei Papst Benedikt XVI. im Vatikan war und darüber mehrere Bücher veröffentlicht hat. „Der Knabe daneben ist schon tot, darum hat er auch die bleiche Gesichtsfarbe.“
Ganz rechts außen sehen wir Ursula Widmann, die erste Frau des Andreas Weidacher, die zusammen mit dem Kind bei der Geburt am 23. Juni 1621 starb. „Das Wickelkind mit dem roten Kreuz erinnert an harte Zeiten, als es noch kaum ärztliche Geburtshilfe gab“, zeigt sich der langjährige Verwaltungsleiter des Krankenhauses Bad Aibling erschüttert. Fünf Monate später heiratete der Witwer die Tölzer Bürgerstochter Regina Pärtl, die im Zentrum des Bildes kniet und ihn um 23 Jahre überleben wird. Von den vier kleinen Mädchen, wohl alle noch aus der ersten Ehe, ist eines ebenfalls verstorben.
„Da das Stifterbild seit der letzten Restaurierung 1999 stark gedunkelt war, bemühte ich mich um eine Restaurierung“, schildert Günter Reichelt. Der damalige Dekan Daniel Reichel kannte einen Kirchenmaler und Restaurator, der die Auffrischung zu einem günstigen Preis machen würde, und brachte es zu Alfons Wagner nach Prack in der Gemeinde Maisach. Finanziert werden konnte die Restaurierung durch den Erlös des Adventssingens in der Kirche Heilig Blut. Günter Reichelt hatte das beliebte Adventssingen 30 Jahre lang organisiert. Beim allerletzten Adventssingen im Dezember 2022 konnte Reichelt, der in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag feiern konnte, das frisch restaurierte Stifterbild präsentieren. Das Stifterbild gehört zu dem monumentalen Epitaph, das Andreas Weidacher für sich und seine Familie hat errichten lassen, wie der Text im Mittelteil informiert. Seelenheil und Trost möge die Stiftung, zu der auch Messen gehören, geben; und allen Christen durch Gottes Gnade eine fröhliche Auferstehung und ein ewiges Leben bereiten. Als gläubiger Mensch, der wiederholt Messen oder Kirchenausstattungen stiftete, beauftragte Andreas Weidacher 1624 den aus München stammenden Maler Hanns Oberhofer, der seit 1618 in Rosenheim lebte, mit diesem Großprojekt. Die damals sehr geschätzte Wallfahrtskirche Heilig Blut wurde bewusst gewählt, um Wirkung und Segen zu verstärken. So wurden auch passend zur Wallfahrt zum Heiligen Blut die „Sieben Blutvergießungen Christi“ als Thema gewählt. Im Einzelnen sind dies: Beschneidung Christi, Jesus schwitzt Blut am Ölberg, Geißelung und Dornenkrönung, Entkleidung (für das Blut, das auf dem Kreuzweg verströmt wird), Kreuzannagelung und als Höhepunkt die Kreuzigung.
Als Vertreter des Manierismus, einer Stilrichtung, die von der Ruhe und Ausgewogenheit der Renaissance zur Bewegtheit und Fülle des Barock überleitet, nahm sich Hanns Oberhofer für die „Kreuzigung“ ein bedeutendes Vorbild und kopierte in verkleinertem Maßstab, aber sonst sehr genau, das fast neun Meter hohe Hochaltarblatt von Domenico Tintoretto, das dieser 1585 für die Münchner Augustinerkirche geschaffen hatte (seit 1964 in der Kirche von Stift Haug in Würzburg).
Da Hanns Oberhofer in seiner Kopie, die auf Leinwand und nicht auf Holz wie die übrigen Gemälde gemalt ist, auch exakt die Farbigkeit des Venezianers wiedergibt, steht zu vermuten, dass der Künstler dieses Bild noch in München vor dem Original geschaffen hat. Die damals beliebten Kupferstiche als Vorlagen scheiden aus.
Das Epitaph zeugt von Glauben und Bürgerstolz, von Leben und Tod. Familienwappen unterstreichen die Bedeutung der Familie Weidacher. So sehen wir oben die Wappen des Andreas Weidacher und seiner ersten Frau Ursula Widmann. Das sprechende Wappen seiner zweiten Frau Regina Pärtl befindet sich direkt auf dem Stifterbild und zeigt einen bärtigen Mann für Pärtl/Bartl.
Besonders verbunden ist Günter Reichelt als Ehrenoberleutnant und Bundesschatzmeister der Gebirgsschützen natürlich der Sebastiani-Wallfahrt. 1654 hatte die Sebastiansbruderschaft ihren Altar und damit die Wallfahrt von der Pfarrkirche Pang in die Wallfahrtskirche Heilig Blut verlegt, da es dort zu eng geworden war für die vielen Wallfahrer aus der ganzen Region.
Durch die verheerende Pest 1634, die fast die Hälfte der Bevölkerung dahinraffte, hatte die Wallfahrt zum heiligen Sebastian großen Aufschwung genommen, vor allem am 20. Januar, dem Festtag des Pestpatrons. Damals stellte man sich vor, dass einen die Pest unvermutet wie ein Pfeilschuss trifft, und wer konnte besser Pfeile abwehren als der heilige Sebastian, den die Pfeile bei seinem Martyrium nicht töten konnten; später wurde der Heilige allerdings erschlagen. Den Altar stellte die Bruderschaft zunächst einfach vor das Weidacher-Epitaph.
Diese Situation fand man aber auf Dauer nicht befriedigend. So gestaltete der Aiblinger Maler Johann Vicelli, der auch den neuen Hochaltar entwarf, anlässlich der Barockisierung der Kirche Heilig Blut um 1690 einen Säulenaufbau mit einer kleinen Nischenarchitektur davor, der Epitaph und Altar zusammenfasste. Und wie beim Hochaltar schuf auch der Rosenheimer Bildhauer Blasius Maß für die nun „Sebastians- oder Bruderschaftsaltar“ genannte Kombination die Figuren: einen heiligen . Sebastian und zwei kleine Engel mit Leidenswerkzeugen.
Seit 1948 präsentiert sich der Sebastiansaltar in einer stark veränderten und reduzierten Form. Teile des Säulenaufbaus sowie diverse Zierelemente wurden damals entfernt und die Anordnung der Gemälde verändert.
Wiederbelebung der Sebastiani-Wallfahrt
Auf Anregung von Günter Reichelt, der 1977 die Rosenheimer Gebirgsschützenkompanie wieder mit gegründet hatte, konnte auch die Tradition der Sebastiani-Wallfahrt wieder belebt werden. So ziehen seit 1992 am Patronatstag, dem 20. Januar, die Schützen in ihren prächtigen Uniformen zur Kirche Heilig Blut zum Altar des hl. Sebastian, der auch ihr Schutzheiliger ist. Zum Abschluss noch ein kleines Jubiläum. Vor genau 30 Jahren, 1994, stifteten die Gebirgsschützen eine 38 Pfund schwere und 1,30 Meter hohe Kerze, die jetzt leicht schief geworden rechts von Sebastiansaltar und Stifterbild die Szenerie abrundet.