Rosenheim – Die Tage von Dr. Götz Brühl bei den Stadtwerken sind gezählt. Am Freitag, 31. Januar, hat er seinen letzten Tag im Rosenheimer Unternehmen. In den vergangenen 22 Jahren hat er viel erlebt. Anlass genug, zurückzublicken.
Fällt Ihnen der Abschied schwer?
Er kommt ja nicht überraschend. Ich hatte schon ein wenig Zeit, mich mit dem Gedanken anzufreunden. Ich war schon immer jemand, der sich auf das Neue gefreut hat, daran hat sich nach wie vor nichts geändert.
Mit Blick auf die vergangenen 22 Jahre: Was waren Ihre persönlichen Höhepunkte?
Meine lange Zeit bei den Rosenheimer Stadtwerken habe ich immer als sehr gut und angenehm empfunden. Oft sind große Unternehmen auf schnelle Veränderungen aus, das ist bei uns anders. Unser Fokus liegt darauf, langfristig Dinge zu erreichen. Ein Höhepunkt war sicherlich die Stromnetzübernahme ganz am Anfang meiner Laufbahn. Mit dem Energiewirtschaftsgesetz im Jahr 2005 hat es viel Lobbyarbeit gegeben. Hier war ich sehr engagiert und konnte bei den Konsultationen bei der Bundesnetzagentur viel erreichen.
Und dabei sind die Rosenheimer Stadtwerke eher ein kleiner Player.
Eben. Das hat meinem Demokratieverständnis unheimlich gutgetan. Durch das Energiewirtschaftsgesetz wurde die ganze Branche der Gasnetzbetreiber zur Zusammenarbeit verpflichtet. Das hat es so in dieser Form noch nie gegeben.
Hat es auch Tiefpunkte gegeben?
Es gibt immer gute und schlechte Jahre. Im vergangenen Jahr ist, bereits zum zweiten Mal, ein großer Geschäftspartner insolvent gegangen. Das ist nichts, was man braucht. Zeigt gleichzeitig aber auch, wie wichtig es ist, in seinen Verträgen auf eine entsprechende Vorsorge zu achten.
Haben Sie alles abgehakt, was Sie sich vorgenommen haben?
Ich habe nach wie vor viele Ideen. Unser Umfeld verändert sich ständig – sei es aufgrund der Technik, der sozialen Medien oder der verschiedenen Emotionen. All das hinterlässt Spuren in unserem Denken und Handeln. In der Gesellschaft gibt es immer wieder Träume und Wünsche. Aber ein Großteil davon lässt sich nicht einfach umsetzen.
Zum Beispiel?
Ein Energiesystem, das nur auf Strom basiert. Das funktioniert einfach nicht. Das haben bereits viele Generationen vor uns untersucht. Am Ergebnis hat sich bis heute nichts geändert. Auch eine Umstellung auf 100 Prozent erneuerbare Energien funktioniert nicht und ist nicht realistisch. 95 Prozent wären super, aber die letzten Prozente zu erreichen, ist wahnsinnig schwer und teuer. Es ist unvernünftig, daran festzuhalten. Wenn man den Bogen überspannt, hat man nichts gewonnen. Es ist immer schön, zu träumen, aber man muss auch schauen, was sich wirklich umsetzen lässt – ohne die Gesellschaft zu spalten.
Sind die Klimaziele also reine Ideologie?
Das lässt sich so pauschal nicht beantworten. Jeder muss seinen Beitrag leisten. Davon bin ich überzeugt. Fest steht auch, dass wir als reiche Nation mehr leisten müssen als andere Länder. Aber ich persönlich komme aus einer Welt, in der es darum geht, dass man die Dinge vermeidet, die man vermeiden kann. Seinen CO2-Ausstoß zum Beispiel. Wenn man das aber, aus welchen Gründen auch immer, im Moment nicht mehr erreichen kann, dann ist es unvernünftig, etwas erzwingen zu wollen.
Klingt logisch.
In der Volkswirtschaft ist die Wertschöpfung der Stromerzeugung nicht sehr groß. Die Wertschöpfung passiert mit dem, was man aus dem Strom macht, also welche Waren produziert werden. Aus diesem Grund ist es in meinen Augen wichtig, dass wir nicht zu viel Volksvermögen in die Stromerzeugung stecken. Wir sollten darauf achten, dass diejenigen, die den Strom für ihre Produktion benötigen, ihn gut und zuverlässig erhalten. Bei einer Verstaatlichung des Energiesystems hätten wir eine andere Welt.
Wird es so weit kommen?
Während meiner Zeit bei den Stadtwerken haben alle Bundesregierungen in genau diese Richtung gearbeitet. Wenn es tatsächlich zu einer Verstaatlichung kommen würde, hätten wir Verhältnisse wie damals in der DDR. Verwaltungen dürfen weniger Risiken eingehen und sind damit innovationsfeindlich.
Wie werden sich die Gas- und Strompreise in den kommenden Jahren entwickeln?
Wer das weiß, muss nicht mehr arbeiten (lacht). Es gibt ein paar Indikatoren. Der Gaspreis kommt aus einer Welt, in der wir alles im Überfluss hatten. Wir hatten also immer deutlich zu niedrige Preise. Dann sind wir in eine Welt gekommen, in der auf einmal alles knapp wurde. Jetzt haben wir ein neues Gleichgewicht durch das Flüssigerdgas. Das ist über Schiffe relativ gut transportierbar, ist aber eben auch mit anderen Kosten verbunden. Das wiederum spiegelt sich in den Preisen wider, die wir im vergangenen Jahr gesehen haben. Der dürfte jetzt erst einmal tendenziell stabil bleiben.
Und der Strom?
Da sehen wir schon jetzt, dass das, was an benötigter, gesicherter Leistung da ist, tendenziell zu wenig ist und der entsprechende Neubau von Kraftwerken nicht stattfindet. Wir steuern auf temporäre Knappheiten zu. Wie wir mit denen zurechtkommen, wird sich zeigen. Aber Vorsorge und Sicherung sehen anders aus.
Das hört sich düster an.
Ja, die Situation ist auch durchaus mit Ärger verbunden. Das Bundeswirtschaftsministerium kennt alle Fakten und Zahlen. Trotzdem handeln sie aus meiner persönlichen Sicht wenig verantwortungsbewusst. Unsere Berechnungen zeigen, dass wir spätestens in zehn Jahren in eine Knappheit rutschen. Und die Frage ist natürlich, wie wir darauf reagieren.
Ist eine bezahlbare Wärmeversorgung in Zukunft weiterhin gesichert?
Ich bin der Meinung, dass viel zu früh darüber diskutiert wurde, das Gas abzuschalten. Ich kann Dinge erst abschalten, wenn ich einen Ersatz habe. Wir können nicht von jetzt auf gleich alle Gasheizungen durch Wärmepumpen ersetzen. Das funktioniert nicht. Wärmepumpen haben ihre Stärken, aber eben auch ihre Schwächen. Und die Frage ist ja: Wollen wir uns das wirklich leisten? Gerade mit dem Wissen, dass es durchaus Wetterlagen geben wird, wo es über mehrere Wochen hinweg richtig kalt sein kann. Sind wir in dieser Zeit wirklich bereit zu frieren?
Eine ähnliche Situation hat es vor etlichen Jahren schon einmal in Frankreich gegeben.
Damals hat es genau so eine Wetterlage in ganz Mitteleuropa gegeben. Viele Bürger haben daraufhin damit begonnen, elektrisch zu heizen. Das hat dazu geführt, dass alle mitteleuropäischen Kraftwerke am Anschlag gelaufen sind, um Frankreich zu versorgen. Ein Stromausfall in einer solchen Situation wäre eine Katastrophe gewesen. Ein Wiederaufbau würde hier zwei bis drei Tage dauern. Die Folgeschäden wären nicht nur für die Volkswirtschaft, sondern auch für die Gesellschaft immens.
Heißt?
Sicherheit kostet Geld, und Sicherheit entsteht durch Reserven. Und ich persönlich finde es schon erstaunlich, wie wenig gesellschaftliche Reserven wir vorhalten. Auch beim Stromnetz haben wir bereits alle unsere Reserven verfrühstückt.
Auch in Rosenheim?
Wir haben in die Verstärkung unseres Stromnetzes investiert. Wir haben einige unserer Leitungen durch dickere Kabel ersetzt. Wir haben unsere Umspannwerke erneuert und im Wärmepumpen-Gebäude die zusätzliche Netz-Schaltanlage gebaut. Einfach, um mehr Leistung bereitstellen zu können und unsere Technik besser abzusichern. Das sieht natürlich niemand, aber wenn wir es nicht machen, würden wir vor massiven Problemen stehen.
Wie ist man in Rosenheim eigentlich auf einen Blackout vorbereitet?
Im Oktober hat dazu erst ein weiterer Test stattgefunden. Wir sind davon ausgegangen, dass das vorgelagerte Netz plötzlich keine Spannung mehr hat. Damit wäre die gesamte Stadt erst einmal schwarz. Wir haben dann versucht, das Stromnetz nach und nach wieder aufzubauen.
Würde es gelingen, dass jeder Haushalt in Rosenheim dadurch wieder Strom bekommt?
Unter günstigen Bedingungen und in der Nacht schon. Da ist der Bedarf deutlich kleiner als am Tag. Für den Spitzenbedarf am Tag reicht unsere Leistung nicht. Da arbeiten wir aber dran.
Wie läuft es eigentlich in Sachen Fernwärme?
Ganz unterschiedlich. Wir hatten in Sachen Finanzierung eine andere Interpretation als die Behörde, was die Gesetzesauslegung anging. Das musste erst einmal in Übereinstimmung gebracht werden und war sehr kompliziert. Jetzt sollte aber alles unter Dach und Fach sein. Der Ausbau an sich ist gewollt, das sieht man auch an den Stadtratsbeschlüssen. Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Finanzierung ist noch nicht komplett gesichert.
Darum muss sich jetzt ihr Nachfolger kümmern. Für Sie geht es in wenigen Tagen in den Ruhestand. Haben Sie Angst, dass Ihnen die Decke auf den Kopf fällt?
Angst vor der Decke habe ich nicht (lacht). Es gibt viele Dinge, die ich schon immer gerne machen wollte. Über die Feiertage gab es diesen Moment, in dem mir bewusst wurde, dass die Zeit auf einmal kein knappes Gut mehr ist. Sie ist trotzdem wertvoll, aber ich habe jetzt mehr davon. Und das ist etwas sehr Schönes. Einen Teil davon werde ich sicherlich in den Bergen verbringen. Interview: Anna Heise