20 Jahre nach Katapult-Hörmi

von Redaktion

Kann sich eigentlich noch jemand erinnern, wer 1998 in Nagano Olympiasieger in der Abfahrt war? Neulich bei Servus TV stellten sie diese Frage, aber selbst Kenner des alpinen Skisports mussten sich als so genannte Experten mit so wenig Ahnung entblößen lassen. Der automatische Reflex beim Wort „Nagano“: Da hat’s doch den Hermann Maier so g’schmiss’n! Genau, da wurde aus Hermann der Herminator. Wie eine Rakete war der frühere Maurer Maier beim Abfahrtslauf über eine Kuppe geschossen, uiuiuiuiui, kopfüber schleuderte es ihn über die Fangzäune, niemand wird das je vergessen, der es damals live erlebt hat.

Hermann Maier war also ganz sicher nicht der Sieger, der musste seine sieben Sachen im Schnee von Nagano zusammenklauben. Damals stürzte Maier den Menschen um kurz nach 4 Uhr in den Morgenkaffee, und so mancher überlegte, ob es sich noch um einen schlechten Traum gehandelt haben könnte. Am kommenden Dienstag, 13. Februar, ist das 20 Jahre her.

Auch an diesem Sonntag empfiehlt sich: Ganz früh putzmunter sein, oder gar nicht erst hinlegen, sondern mental vorbereiten, wer ab 3 Uhr ähnlich Historisches nicht verpassen will. Einen Sensations-Helden? Katapult-Hörmi wäre damals kein Überraschungssieger gewesen. Überraschungssieger, wie sie Olympische Spiele so gerne ausgraben. Wie einen gewissen Bill Johnson, der 1984 mit der Empfehlung eines Weltcupsieges bei Olympia in Sarajevo die Großen panierte (aber danach die schlimmste Talfahrt aller Abfahrer erlebte. Mit 40 versuchte er ein Comeback, zog sich ein schweres Schädelhirntrauma zu, starb 2016 im Alter von 55 Jahren). Oder zehn Jahre später Tommy Moe (1994 Lillehammer), der in seiner ganzen Karriere einen Weltcupsieg feierte.

Natürlich gab es auch erwartbare Helden in der jüngeren Vergangenheit, etwa die Österreicher Patrick Ortlieb (1992) oder Fritz Strobl (2002). Aber die letzten drei Abfahrts-Olympiasieger, allesamt keine Favoriten: Weder der Franzose Antoine Deneriaz (2006 Turin), auch nicht der Schweizer Didier Defago (2010 Vancouver), ganz und gar nicht der Ösi Matthias Mayer (2014 in Sotschi), der sogar seinen allerersten Sieg feierte mit 23 Jahren. Wieder ein Mayer – mit y statt i.

Als sein größtes Vorbild nennt der deutsche Schusspilot Thomas Dreßen übrigens – Überraschung: Hermann Maier. Weniger wegen seiner Erfolge, eher wegen seiner unglaublichen Steh-auf-Geschichte, sagt Dreßen. Aber gegen die Erfolge wird er schon auch nichts einzuwenden haben. „Seine Mentalität, immer weiterzumachen, nie aufzugeben“, das imponiere ihm. Bei Maiers Abflug in Nagano war der kleine Thomas gerade mal fünf Jahre alt, und für den Fall, dass der Pimpf das mitansehen durfte, hat ihm hoffentlich schnell jemand gesagt: Nachmachen streng verboten!!!

Wäre eigentlich Tomas Dreßen ein Überraschungs-Olympiasieger, so wie Moe, Deneriaz, Mayer, sollte am Sonntag zu europäischer Morgenstund ein Wunder passieren? Wäre es ein Wunder? Klipp und klar: Jein. Nein, sagen die einen, weil er gerade Kitzbühel gewonnen hat. Ja die anderen, weil er mit bislang erst einem Sieg, wenn auch am sagenumwobensten Ski-Berg der Welt, noch längst kein Favorit ist. Oder gerade deshalb, weil ja Olympia ist? Ein Wunder im Sinne eines stinknormalen Außenseiter-Sieges wäre Dreßen nicht, in diese Rolle könnte eher der Kollege Andreas Sander brettern.

So wie 1998 in Nagano ein gewisser . . . grübel . . . wer war doch gleich Abfahrts-Olympiasieger? Ach ja, Monsieur Jean-Luc Cretier. Ein Franzose. Vorher nie ein Rennen gewonnen, nachher auch nicht. Längst vergessen. Aber Olympiasieger – schön für ihn. Alles redet noch heute von Hermann Maier, dem gefühlten Abfahrts-Olympiasieger von Nagano. Weil er uns frühmorgens in den Kaffee platschte. Und wieder aufstand. Jörg Köhle

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