München – Bisher ist Christoph Langen noch für keine Olympische Entscheidung aus dem Bett aufgestanden – aber heute wird sich das ändern. Auch bei ihm daheim in Berchtesgaden wird der Fernseher laufen, wenn die deutschen Bobfahrer um 1.30 Uhr (MEZ) in die Vierer-Entscheidung starten. Vor vier Jahren stand der 55-Jährige als Cheftrainer in Sotschi selbst an der Bahn, blieb ohne Medaille und wurde heftig kritisiert. Im Interview blickt er zurück – und nach vorne.
-Herr Langen, zunächst ein Blick zurück auf die Entscheidung im Zweier. Ist Francesco Friedrich der verdiente Olympiasieger?
Wenn man die letzten Jahre, also den gesamten Olympia-zyklus anschaut, auf jedem Fall. Spannend war es, ich bin richtig mitgegangen vor dem Fernsehen. Dass der Kanadier so dagegen hält, hat mich überrascht. Aber für Franz ist es das I-Tüpfelchen auf den schon überragenden Zyklus.
-Alle drei deutschen Piloten haben Sie mit aufgebaut. Zu einem Teil ist das auch Ihr Verdienst.
So denke ich nicht. Aber ich erinnere mich schon daran, dass das ein kleiner Erfolg ist – und ich mit meinem Weggang die ein oder andere Tür geöffnet habe, die nicht offen wäre, wenn ich noch Bundestrainer wäre.
-Die Konkurrenz im Zweier-Bob war enorm groß, geht es im Vierer genauso eng zu?
Da dominieren die Deutschen mehr, weil sie einen gewissen Vorteil haben: Bei uns gibt es drei vollkommen verschiedene Bahnen, auf denen man Vierer trainieren kann. Die Piloten sind sehr, sehr gut ausgebildet und können sich wahnsinnig schnell auf andere Bahnen, andere Situationen einstellen. Das können die anderen nicht.
-Trotzdem müssen sie durch die Kurve neun . . .
. . . die aber im Bob nicht so entscheidend ist wie im Rodeln oder Skeleton. Wenn man im Vierer die zwei, drei, vier, fünf sauber fährt, nimmt man die entscheidende Geschwindigkeit mit.
-Haben Sie innerhalb des deutschen Teams einen Favoriten?
Der Vorteil an dieser Mannschaft ist, dass drei Piloten auf gleicher Höhe arbeiten. Der Lochner Hansi kann es machen, der Nico Walther, der Franz Friedrich auch. Die sind alle für eine Medaille gut.
-Würden Sie auf einen der drei wetten?
Ohne mich auf einen festzulegen, würde ich auf eins, zwei, drei für Deutschland tippen. Wie bei den Nordischen Kombinierern – das ist möglich.
– Friedrich und Lochner starten im Wallner-Bob, Walther im FES. Was ist denn das bessere System?
Das kann man nicht pauschal sagen. Aber man kann sagen, dass das FES – und hier sage ich: endlich – ein ordentliches Zweier-Gerät hingestellt hat. Das ist die Tür, von der ich gesprochen habe. Ich weiß nicht, wie das Gerät aussehen würde, wenn ich noch im Amt wäre.
-Nach Ihrem Abgang wurde die kostspielige Doppel-Lösung mit FES und Wallner durchgesetzt.
Genau. Und der Konkurrent hat das FES wieder stark gemacht. Ich kann mich erinnern, dass im Jahr vor den Spielen 2010 in Vancouver Andre Lange im Singer-Bob Weltmeister geworden ist. So war es ja in diesem Zyklus auch. Das FES hat den Druck gekriegt, den ich immer gefordert habe – und sich am Riemen gerissen. Der Zweier des FES läuft jetzt einfach super und im Vierer haben sie auch einen Schritt nach vorne gemacht. Nun haben alle drei Deutschen ein voll konkurrenzfähiges Gerät.
-Kann man beziffern, wie viel Zeit Material auf so einer Bahn wie in Pyeongchang ausmachen kann?
Das Material spielt eine große Rolle. Die einen machen Fehler und verlieren kaum Zeit. Die anderen machen Fehler und verlieren eine Menge Zeit. Es geht vor allem darum, ob der Bob einen Fehler verzeiht oder nicht. Das hat man jetzt bei allen Rennen gesehen.
„In Sotschi waren wir nicht konkurrenzfähig“
-Man hofft auf weitere Medaillen – aber wenn man den Olympiazyklus als Ganzes sieht: Sind die Spiele schon jetzt ein Erfolg?
Auf jeden Fall. Es ist alles positiv. Das Manko, das wir vor vier Jahren hatten, ist ausgemerzt. Die Entwicklung geht in die richtige Richtung. Und ich sage es noch mal deutlich – obwohl es keiner hören will: Vor vier Jahren hatten wir ein Materialproblem.
-Vor allem das FES hört es nicht gerne.
Mag sein, aber genau so ist es. Wir hatten Weltmeister und Vize-Weltmeister in Sotschi dabei – und die verlernen ja das Bobfahren nicht. Wir haben vorher alles gewonnen und nachher auch, nur bei den Spielen nicht. Das ist doch kurios. Und jetzt haben die Athleten nicht mehr in den Köpfen, dass sie in den Bob springen und Zeit verlieren. Sondern sie wissen: Wenn ich gut starte und fahre, habe ich die Chance, Gold zu gewinnen. Das ist ein riesengroßer psychologischer Vorteil.
-Das „Debakel von Sotschi“, von dem gerne geschrieben wird, ist eng verknüpft mit Ihrem Namen. Nervt Sie das?
Es nervt in dem Sinne – und das war auch der Grund für meinen Rücktritt –, dass aus allen Richtungen alles auf mich abgewälzt wird. Klar war ich verantwortlich, aber ich hatte kaum Einfluss. Wir waren einfach nicht konkurrenzfähig mit unserem Material. An nichts anderem lag es.
-Die Lösung, die jetzt seit zwei Jahren gefahren wird, ist kostspielig. Wie sollte es im neuen Zyklus weitergehen?
Das FES-Gerät ist jetzt wieder da. Wenn ich verantwortlich wäre, würde ich sagen: Ein Segen! Endlich! Das macht das Arbeiten für alle jetzt deutlich einfacher. Ich hoffe, dass mit dem neuen Zyklus die Zuständigkeiten in den einzelnen Abteilungen geändert werden, dass der Verband viel mehr Einfluss auf das FES hat. Und dass das FES als Dienstleister gesehen wird und als nichts anderes. Wenn ich als Dienstleister – und so war es lange – bestimme, was zu tun ist, ist das nicht richtig.
-Es gibt also weiter Redebedarf.
Das Thema FES wird immer da sein. Ich habe mit den Trainern und Athleten ja Kontakt – und egal, mit wem ich spreche: Nach dem zweiten Satz fällt immer das Wort „FES“.
-Man hat oft den Eindruck, es geht gegen- und nicht miteinander?
Genau so ist es. Und das kann es doch eigentlich nicht sein. Die mieten einen Windkanal an, der nicht von unserem Automobilpartner ist. Die mieten verschiedene Garagen – das ist wie ein Hochsicherheitstrakt. Wo sind wir denn eigentlich? Ich sag es mal überspitzt: Die leiden an Verfolgungswahn. Wenn man Vertraulichkeit fordert, wird das im Verband auch eingehalten. Da muss man nicht hinter dem Rücken arbeiten.
-Es bleibt auch nach dem Rennen spannend . . . Wie schauen Sie eigentlich inzwischen Bob? Entspannter?
Ich kann nicht ruhig sitzen, das ist klar (lacht). Aber daheim bin ich schon ein bisschen weniger angespannt als an der Bahn. Obwohl ich weiterhin in jedem Bob sitze. Da werde ich mich nie ändern.
Das Gespräch führte Hanna Raif