Pyeongchang – Manchmal kommt es dann doch anders als erwartet. Die Frage nach dem möglichen Sieger beim olympischen Slalom war rhetorisch. Marcel Hirscher, wer sonst? Oder höchstens noch Henrik Kristoffersen. Der Norweger war der einzige neben dem verletzten Felix Neureuther in dieser Saison, der dem Österreicher einen Sieg wegschnappen konnte. Allein der Kampf um Bronze schien offen. Aber dann strauchelte Hirscher am Donnerstag im ersten Durchgang. Das war ihm zuletzt vor zwei Jahren passiert. Die Chance auf das dritte Gold war weg. „So unerwartet wie die Kombi-Medaille war der Ausfall im Slalom“, sagte er. Im Finale erwischte es dann Kristoffersen, auch er ist die Konstanz in Person. Zuletzt hatte es ihn in der vergangenen Saison erwischt. Der Weg war nun frei für das Siegerpodest der Außenseiter.
Der Sieg von Andre Myhrer wäre ja gar keine Überraschung, gäbe es nicht Hirscher und Kristoffersen. Der Schwede gehört seit Jahren zu den besten Slalomfahrern, er hat sieben Weltcup-Rennen in dieser Disziplin gewonnen – und nun mit 35 Jahren seine Karriere gekrönt. Myhrer folgte dem Österreicher Mario Matt nicht nur als Olympiasieger, sondern löste ihn auch als ältesten Goldmedaillengewinner im Slalom ab und stellte gleich noch eine rekordverdächtige Marke auf. Allerdings war er dafür nicht alleine verantwortlich. Denn der Slalom in Yongpyong am Donnerstag war eine Angelegenheit für große Männer.
Myhrer misst 1,89 Meter, der zweitplatzierte Schweizer Ramon Zenhäusern gar 2,00 Meter und Bronzemedaillengewinner Michael Matt aus Österreich, Bruder des Sotschi-Siegers, ist mit 1,85 noch der Kleinste auf dem Podest. Kein Zufall, wie Kristoffersen glaubt. Er habe schon vor dem Rennen auf der nicht allzu steilen Piste Myhrer auf der Rechnung gehabt, sagte der Norweger. Größenmäßig hätte Fritz Dopfer vom SC Garmisch zwar mithalten können mit den Schnellsten, aber der 28-Jährige kämpft immer noch mit den Folgen seines Beinbruchs und landete auf dem 20. Platz. Der zweite deutsche Starter, Linus Straßer aus München, schied bereits im ersten Durchgang aus.
Myhrer hatte mit Olympia noch eine Rechnung offen. Zwar hatte er in Vancouver Bronze gewonnen, aber vier Jahre später hätte es schon der große Coup werden sollen. „Ich war in der besten Form meines Lebens“, sagte er. Dann verletzte er sich zehn Tage vor dem Slalom, wurde aber noch rechtzeitig fit und belegte nach dem ersten Durchgang den zweiten Platz, genau wie dieses Mal. In Sotschi schied er aus, dieses Mal gelang ihm ein perfekter Lauf – und er gewann als erster schwedischer Skirennläufer seit Ingemar Stenmarks Triumph 1980 Gold.
„Ingemar ist wie eine Institution in Schweden. Mit ihm in einer Reihe zu stehen, ist eine große Ehre für mich“, sagte Myhrer. Nach jedem seiner bisherigen Siege hat sich der Musik-Freak vom Preisgeld eine Gitarre geleistet – und diese Tradition wird nun auch nach dem Triumph in Pyeongchang beibehalten. „Aber ich weiß nicht, was Olympia-Gold in Gitarren wert ist. Vielleicht muss ich zwei kaufen.“