Die Deutschen laufen viel mehr als Messi

von Redaktion

Was die Statistik erzählt: Gomez wird falsch eingeschätzt, Reus sprintet ständig, Brandt hat Joker-Qualität

Von Günter Klein

Kasan – Vor acht Jahren bemerkte Joachim Löw eine Veränderung im Fußball. „Er ist“, sagte der deutsche Bundestrainer bei der WM 2010 in Südafrika, „zur Seriensprintsportart geworden“. 2014 erneuerte er sein Urteil: „Das ist mehr denn je der Fall.“

Die Technik in den Stadien erlaubt es, die Laufleistungen der Spieler zu erfassen, es wird auf zwei Stellen nach dem Komma öffentlich gemacht, was ein Spieler an Kilometern „gefressen“ hat. Die Nerds goutieren diese Aufzeichnungen. Bei der WM 2018 haben sie in den Unterlagen der FIFA auch wieder Erstaunliches entdeckt. Dass die Russen mit Abstand am meisten laufen – gegen Saudi-Arabien etwa in der Mannschafts-Gesamtleistung über 12 Kilometer mehr als der Gegner. Was so wäre, als hätten sie einen elften Feldspieler. Vier Russen führen auch das Ranking der Spieler mit den meisten Sprints an.

Und während die eifrigen Russen auf Einzelleistungen von mehr als 11 Kilometer pro Partie kommen, liefert der große Lionel Messi bei der argentinischen Pleite gegen Kroatien nur 7,6 Kilometer ab – irgendwo zwischen dem Pensum eines Torhüters und eines streng defensiven Innenverteidigers, der nicht über die Mittellinie geht.

Was also anstellen mit den Tabellen über die Laufleistungen?

Marcus Sorg ist im deutschen Trainerteam so ein bisschen für das Wissenschaftliche zuständig (die Analyse aus der Vogelperspektive), er sagt: „Die Laufleistung ist zunächst einmal ein Parameter über die physische Leistungsfähigkeit.“ Damit ließe sich sagen: Die Russen sind fit. Messi muss aber nicht unfit, faul oder lustlos sein. Sorg: „Es ist wichtig, dass ich richtig laufe.“

Wenn Trainer sich mit der Lauf-Statistik befassen, dann gehen sie ins Detail. Eher Spielerei ist die Erfassung der Spitzengeschwindigkeit, sie hat schon immer – die Verlässlichkeit der Methode vorausgesetzt – Erstaunliches zutage gefördert. So war – siehe die Auswertung des deutschen Spiels gegen Schweden (Kasten) – Mario Gomez der deutsche Spieler, der am schnellsten unterwegs war. Einer, über den man sagt, er wäre wegen seiner Größe und des Gewichts ein schwerfälliger Typ. Doch offensichtlich investierte er viel in der Halbzeit, die er spielte.

Timo Werner wurde nur Vierter. Dennoch besteht kein Zweifel daran, dass er derjenige deutsche Spieler ist, der abgeht wie kein Zweiter. Als Maßstab gibt es eine 100-Meter-Zeit von handgestoppten 11,0 Sekunden aus seiner Abiturprüfung, und – im Fußball aussagekräftiger – eine 30-Meter-Startzeit von 3,7 Sekunden. Flotter soll auch ein Usain Bolt nicht aus den Blöcken gekommen sein. In der Bundesliga wurden für Timo Werner schon 33,6 km/h erfasst.

„Gute Genetik“, sagt Werner, dessen Vater Günther Schuh ein schneller Außenstürmer war (SpVgg Ludwigsburg, Stuttgarter Kickers). Vater und Sohn sind früher oft die „Berge bei Stuttgart hochgerannt, um Kraft in die Beine zu bekommen“, wie Timo Werner der WM-Sonderpublikation von „Fußballgold“ erzählt. Seine Stärke auf dem Platz sieht er darin, „dass ich in die Geschwindigkeit komme“.

Er hat bei diesem WM-Turnier aber schon festgestellt, dass man die Gegner nicht so einfach überläuft. Es gebe keine richtig langsamen Spieler mehr, findet Werner. Mittlerweile arbeiten etliche Fußballprofis privat mit Sprint- und Athletiktrainern zusammen. Timo Werner glaubt, „dass sich einer dadurch nicht von 30 auf 35, aber wenigstens auf 31 verbessern kann“.

Was man bei der FIFA einsehen kann, ist auch eine Gliederung der Laufleistung in Intensität. Vorgegangen wird in Siebener- oder Fünfer-Schritten. „Mehr als 25 km/h“ ist die höchste Kategorie; selten, dass ein Spieler mehr als zwei Prozent seiner Gesamtstrecke im höchsten Tempo zurücklegt. Der meistbesetzte Bereich bei allen liegt über 60 Prozent: Null bis sieben Kilometer pro Stunde. Also Gehtempo. Oder es wird gestanden.

Zu denen, die im Team am meisten rackern, zählt Thomas Müller. Sein Spiel gegen Schweden wurde als unglücklich wahrgenommen, war aber sicher sehr bemüht. Acht Prozent seines läuferischen Aufwands lagen im Bereich über 15 km/h. Fleißiger nur die Außenverteidiger Hector und Kimmich: neun Prozent.

Sprintkönig: Marco Reus, der 51 Mal ins hohe Tempo ging. Bemerkenswert jedoch auch die Leistung des Jokers Julian Brandt, der in weniger als elf Minuten Einsatzzeit elf Mal rannte. Bei ihm war es tatsächlich „Seriensprintsportart“.

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